Es gibt angenehmere Zeitpunkte, ein Jubiläum zu feiern, als fünf Tage nach einer Niederlage, die für Aleksander Dragovic wahrscheinlich die letzte Chance zerstörte, nach zwei Europameisterschaften auch bei einer Weltmeisterschaft zu spielen. Vor fast leeren Tribünen im Happel-Stadion. Aber dennoch darf, oder besser gesagt, muss der 31 jährige Abwehrchef stolz darauf sein, Dienstag gegen Schottland sein 100. Länderspiel zu bestreiten. Erst als zweiter Österreicher. Jeder, der beim ersten vor 13 Jahren live dabei war, wird sich mit Dragovic freuen.
Es war am 6. Juni 2009, als der damalige Teamchef Didi Constantini den Mut hatte, den 19 jährigen Austrianer Dragovic sein Debüt im Abwehrzentrum feiern zu lassen. Neben Martin Stranzl im Marakana-Stadion von Belgrad gegen Serbien in der Qualifikation für die WM in Südafrika, weil Sebastian Prödl verletzt ausfiel. Österreich verlor 0:1, aber das lag nicht am Debütanten. Das Marakana ist jetzt für Roter Stern Belgrad-Legionär Dragovic die sportliche „Heimat“, sein Trainer Dejan Stankovic war bei seinem Teamdebüt der Kapitän des serbischen Teams. Roter Sterns Co-Trainer, Nenad Miljas, sorgte via Elfmeter für das Siegestor. Von den damaligen Mitspielern von Dragovic sind nur noch drei aktiv. Jakob Jantscher, der ebenfalls debütierte, zählt zu den Leistungsträgern von Sturm Graz, trug aber nur 23 mal den Teamdress. Yasin Pehlivan spielt in der zweiten türkischen Liga bei Manisa. Salzburg-Kapitän Andreas Ulmer war damals Ersatz. Die anderen? Derzeit Analytiker bei Sky Austria wie Stranzl und Marc Janko, Sportchef bei der Wiener Austria (Manuel Ortlechner), Co-Trainer bei Leeds (Fränky Schiemer), Tormanntrainer bei Union Berlin (Michael Gspurning). Dragovic betont immer, dass auch aus emotionalen Gründen, wegen seiner serbischen Wurzeln, das erste Länderspiel das ist, an das er sich am liebsten erinnert. Im Oktober 2015 fuhren Verwandte von ihm, die bei Belgrad wohnen, stundenlang nach Podgorica in die Hauptstadt des Montenegro, um Dragovic dort in der EM-Qualifikation spielen zu sehen, seinen Dress zu bekommen.
Er hatte nach Constantini mit Marcel Koller und Franco Foda nur zwei Teamchefs. Egal, ob Legionär beim FC Basel, bei Dynamo Kiew, Bayer Leverkusen, Leicester oder jetzt Roter Stern Belgrad, Dragovic war gefragt. Insgesamt nur 17 mal gehörte er zum Kader, ohne eingesetzt zu werden. Wenn er fehlte, war er entweder gesperrt, verletzt oder krank. 30 seiner 99 Länderspiele bestritt er in der Qualifikation für die Weltmeisterschaft, sechs weniger in der für die Europameisterschaft, sechs bei den Endrunden der EM 2016 und 2021, sieben in der Nations League und 32 in Freundschaft. Die sportliche Bilanz: 51 Siege, 15 Unentschieden, 33 Niederlagen. Also positiv.
Er war nicht nur bei den Highlights, sondern auch bei schlimmen Niederlagen dabei. Wie fünf Monate nach dem Debüt beim 1:5 gegen Europameister Spanien in Wien, bei zwei Pleiten in Israel, in der letzten verpassten WM-Qualifikation beim 0:4 gegen Dänemark oder Donnerstag in Cardiff. Schlecht lief für ihn die Europameisterschaft in Frankreich vor sechs Jahren. Beim 0:2 gegen Ungarn wurde er ausgeschlossen, beim 1:2 gegen Island schoss er einen Elfmeter an die Stange. Zwei Jahre später war er in Klagenfurt dabei, als Österreich den regierenden Weltmeister Deutschland 2:1 bezwang. Das Ergebnis widerlegt die Behauptungen, dass es unter Foda nie gelang, eine Mannschaft zu besiegen, die in der Weltrangliste vor Österreich lag.
Dragovic zeichnete aus, dass er sich immer wieder zurückkämpfte. Das sieht er auch als eine seiner Stärken. So überzeugt er auch Koller und Foda, die anfangs skeptisch waren, von seinen Qualitäten. Er weiß, dass auf seiner Position jüngere wie Philipp Lienhart, Stefan Posch oder Kevin Danso nachdrängen. Aber interner Konkurrenz hat er sich immer gestellt, daran wird sich nichts ändern. Sollte er im Juni bei allen vier Spielen der Nations League zum Einsatz kommen, würde er Andreas Herzog als Rekordteamspieler ablösen. Freiwillig die Teamkarriere zu beenden, wird für Dragovic nie ein Thema sein. Und wer weiß, vielleicht spielt er in der kommenden Saison in einer besseren Liga als der serbischen. Er gibt sich noch fünf Jahre. Giorgio Chiellini, der mit 36 Europameister mit Italien wurde, ist für „Drago“ ein Vorbild. Auf die Zahl der Länderspiele, auf die er noch kommen will, legt er sich nicht fest: „Ich mach mir keinen Druck, damit bin ich gut gefahren!“
Foto: ÖFB/Christopher Kelemen.