Fußball

Christopher Trimmel oder Union Berlins Kapitän im Baumarkt

Jedes Jahr kommen für das Weihnachtsgeschäft einige neue Bücher auf den Markt. Auch mit Fußball als Thema. So auch heuer. In einem erzählt ein ehemaliger Austria-Trainer aus Deutschland sein Leben. Nämlich Christoph Daum, inzwischen 66 Jahre alt, seit dem Kapitel als Teamchef Rumäniens vor drei Jahren nur noch Beobachter der Szene. Daum hatte vor 18 Jahren in der Ära von Frank Stronach die Austria von Walter Schachner als Tabellenführer übernommen, das Double geholt und sich dann zu Fenerbahce Istanbul verabschiedet. „Immer am Limit, mein Aufstieg, mein Fall“ heißt das Buch, das sich natürlich auch mit seiner „Koks-Affäre“ aus dem Jahr 2000 befasst, als er deutscher Teamchef werden sollte. Den vom Verlag vorgeschlagenen Titel „Schnee von gestern“ ließ Daum nicht zu.

Ungewohnte Einblick bietet Christoph Biermann, eine der führenden deutschen Fußballjournalisten, mit „Wir werden ewig leben. Mein unglaubliches Jahr mit Union Berlin“. Er durfte die Aufstiegssaison der „Eisernen“ begleiten, war so nahe dran an der Mannschaft wie kein Journalist von ihm. Ein Kapitel beschäftigt sich auch mit einem österreichischen Teamspieler, dem 33 jährigen Kapitän von Union, Christopher Trimmel, der 2014 von Rapid zum Kultklub in den Berliner Stadtteil Köpenick gewechselt war, heuer als Berlins Fußballer des Jahres ausgezeichnet wurde, als einer der besten Assistgeber der Bundesliga gilt. 15 waren  es in bisher 39 Spielen. Das Kapitel über Trimmel heißt „Der Kapitän im Baumarkt“. Und so schreibt Biermann über den gebürtigen Burgenländer:

Die meisten Spieler wohnten in der Nähe des Stadions, in Köpenick selbst oder in angrenzenden Stadtteilen. Nur zwei  lebten in meiner Nachbarschaft, in Berlin-Mitte: der dänische Torwart Jakob Busk und Mannschaftskapitän Christopher Trimmel. Nach einigen Tagen, als meine Anwesenheit langsam selbstverständlicher zu werden begann, nahm mich Trimmel zum ersten Mal vom Training mit zurück nach Hause. Er hatte einen schwarzen Mercedes, der aussah wie ein Jeep und den Eindruck machte, als würde der Fahrer damit im Forst erlegte Wildschweine nach Hause fahren. Als wir losfuhren, machte Trimmel das Radio an und stellte es auf einen Jazzsender. Er hatte sich dafür entschieden, mit seiner Frau nach Mitte zu ziehen, obwohl das bedeutete, zum Training und zurück mindestens eine Stunde lang unterwegs zu sein. »Mitte erinnert uns an Wien«, erklärte er mir. Wo sie wohnten, konnten sie in schöne Cafés gehen, dessen Publikum Fußballspieler eher nicht erkannte. In Köpenick hätte er ständig Autogramme geben oder Selfies mit Fans machen müssen. Trimmel, so dachte ich, passte nach Mitte, denn dieser Stadtteil ist auch eine Bühne. Er sah gut aus und war auf unspektakuläre Weise stylish angezogen, wofür seine Frau sorgte. Er hatte Spaß an öffentlichen Auftritten, war aber trotzdem kein Poser, der die Bühne suchte. Während der Fahrt erzählte mir Trimmel im Schnelldurchlauf, dass es für ihn eigentlich nicht vorgesehen gewesen war, Fußballprofi zu werden. Er war in einem 700-Seelen-Dorf im Burgenland aufgewachsen und hatte mit der lokalen Fußballmannschaft den Aufstieg von der Sechsten in die Fünfte Liga geschafft. »Ich habe mit 16 Jahren gegen 30-Jährige gespielt, da musste ich Athletik entwickeln.« Damals hatte er die Schule fertig machen und Zimmermann werden wollen. Die schon bald eintreffenden Anfragen größerer Klubs, ihn in eine Nachwuchsakademie zu holen, schlug er aus. Trimmel wollte lieber mit seinen Kumpeln Skateboard fahren und Punkrock oder andere laute, harte Musik hören. Mit 19 Jahren wechselte er zu einem Viertligisten, schoss dort 18 Tore, und wieder kamen Angebote. Diesmal passte es, er wechselte in die Zweite Mannschaft von Rapid Wien, um sein Studium in der österreichischen Hauptstadt zu finanzieren, Sport und Geografie. Vorher hatte er überlegt, sich an der Kunsthochschule einzuschreiben, dann aber seine Bewerbungsmappe verlegt, ob bewusst oder zufällig, das wusste er selbst nicht. In Wien nahm sein Leben eine überraschende Wende, innerhalb von anderthalb Jahren wurde er nicht nur in die erste Mannschaft des populärsten Klubs des Landes befördert, sondern auch noch in die österreichische Nationalmannschaft berufen. Ein unglaublicher Aufstieg. In Wien entdeckte er seine Begeisterung fürs Tätowieren, die viel mit seinem Vergnügen an Zeichnen und Malen zu tun hatte. Er hatte sich als Tätowierer seither so weit entwickelt, dass er ein Kleinunternehmen angemeldet hatte, „Twentyeight Tattoos“, die 28 war seine Rückennummer. „Wenn ich jetzt mit Fußball aufhören würde, könnte ich davon leben“, erzählte er und fragte dann, ob es in Ordnung sei, wenn wir noch kurz an einem Baumarkt hielten. Sein Vater war nämlich zu Besuch, und sie wollten einer Freundin bei der Einrichtung der Elektrik in einem Restaurant helfen. „Die tut sich ein bisschen schwer damit.“ Als ich auf dem Parkplatz darauf wartete, dass er Sicherungen und anderes Elektromaterial kaufte, dachte ich erst: „Irre, ich sitze mit dem Kapitän einer Bundesligamannschaft im Auto und fahre zum Baumarkt.“ Dann jedoch dachte ich, wie absurd dieses Erstaunen war. Das Zusammentreffen von Spielern und Journalisten ist meistens formalisiert, weil man sich in festgeschriebenen Rollen trifft. Der eine fragt, der andere antwortet und hat dabei oft die Sorge, dass die Antwort ihm schaden könnte. Schon in den ersten Tagen hatten sich einige Spieler bei mir darüber beschwert, dass „die Medien“ doch schrieben, was sie wollten. Mein Einwand, dass es „die Medien“ nicht gäbe, wurde eher knurrend zur Kenntnis genommen. Mir war schon klar, dass das Verhältnis von „den Spielern“ und »den Medien« eine Reihe von Problemen mit sich brachte. Christopher Trimmel etwa fiel im weitesten Sinne in die Rubrik „der andere Profi“, weil er eine andere Vorgeschichte hatte als vieler seiner Kollegen und offensichtlich ein anderes Leben führte. Nur führte er dieses Leben nicht, um „anders“ zu sein, sondern es war halt seines. Er unterhielt sich gerne und gab auch gerne Auskunft über sich, mit diesem warmen österreichischen Unterstrom in der Stimme. Er war mit einem besonderen fußballerischen Talent gesegnet, auf das er erst spät gestoßen oder das er erst spät zu nutzen bereit war. Er sagte: „Meine größte Stärke ist Disziplin.“ Aber Trimmel sagte auch: „Wenn du etwas zu viel willst, versteifst du.“ Er hatte Interesse an Kunst und an schönen Dingen, das war seine Gegenwelt zum Fußball. Wäre er aber nur ein Exot, wäre er nicht Kapitän der Mannschaft, kein Führungsspieler, und wie er das ausfüllte, sollte ich in den kommenden Monaten erfahren. Dadurch, dass ich nun, wenn auch noch vage, zur Mannschaft dazugehörte, hatte Trimmel mich im Auto mitgenommen, wie man halt einen Arbeitskollegen mitnimmt. Die übliche Rollenverteilung zwischen Journalist und Fußballprofi fiel weg, nun war es gar nicht mehr so irre, dass Trimmel einen Jazzsender hörte. Und was war eigentlich bemerkenswert daran, dass er in einem Baumarkt einkaufen ging? Auch Freunden bei etwas zu helfen, das sie selber nicht, man selber aber gut kann, war so wenig eine Sensation wie seine Begeisterung für Tätowierungen. Für einen Fußballprofi mochte das eine oder andere davon ungewöhnlich sein, aber während der Fahrt mit Trimmel löste sich dieses „für einen Fußballprofi“ auf. Nach nur wenigen Tagen mit der Mannschaft verschwand es ganz aus meinem Denken und kam auch nicht wieder zurück. Trimmel setzte mich an einem Café in Mitte ab, an dem wir uns, vor allem, als es kälter wurde, regelmäßig zur gemeinsamen Fahrt nach Köpenick treffen sollten, meistens zusammen mit Torhüter Busk. Doch jetzt war es noch warm, deshalb fuhr Trimmel häufiger mit seiner Harley-Davidson, die einen gewaltig breiten Hinterreifen hatte. Außerdem konnte er an dem Motorrad den Schalldämpfer im Auspuff so öffnen, dass man es schon aus vielen Hundert Metern Entfernung hörte. Auf Österreichisch klingt »Jugendsünde« gleich viel sympathischer.

Foto: Union Berlin.

Meist gelesen

Nach oben