Fußball

Die umstrittenste Weltmeisterschaft aller Zeiten

Je näher der Ankick zur ersten Wüsten-WM am Sonntag in Katar rückte, desto heftiger wurden die Diskussionen, ob die dort überhaupt stattfinden sollte. Dass sie eine Sünde ist, etwas entstand, was nicht passieren hätte dürfen. Seit Katar vom 2. Dezember 2010 im entscheidenden Wahlgang von 14 Mitgliedern des Exekutivkomitees des Weltverbands FIFA in Zürich den Zuschlag erhielt (für den letzten Konkurrenten, die USA, gab es acht Stimmen), kommen die Vorwürfe auf den Tisch. Bei der Vergabe sei mit Korruption nachgeholfen worden, zwischen 6.000 und 15.000 Gastarbeiter seien bei den WM-Vorbereitungen wie den Stadionbauten gestorben, in Katar werden Menschenrechte missachtet, Homosexuelle verfolgt, gibt es keine Meinungsfreiheit, ist es zudem viel zu heiß für die WM. Sehr heftig. Aktuell hat es in Katar um die 30 Grad, viele Klimaanlagen werden dafür sorgen, dass die Temperatur in den acht WM-Stadien zwischen 19 und 24 Grad liegt. Das ist die Vorgabe der FIFA, die nur von drei Toten bei den Stadionbauten spricht, deren umstrittenen Präsident Gianni Infantino seit eineinhalb Jahren in Katars Hauptstadt Doha wohnt, die beste WM aller Zeiten ankündigt. Für ihn war die WM in Russland vor vier Jahren schon die beste, die je stattgefunden hat.

Seit der Vergabe passierte in zwölf Jahren einiges, das für Kopfschütteln sorgte. Zunächst entdeckten mitteleuropäische Spitzenklubs die Aspire Academy in Doha als beliebtes Trainingslagerziel im Winter, erwarb die katarische Staatsfonds 70 Prozent von Paris St. Germain. 2011 sperrte die FIFA Mohammed bin Hamma, den Strippenzieher von Katar in Sachen Sport, wegen Korruption, die nicht mit der WM-Vergabe in Zusammenhang gestanden haben soll. 2012 begann die Debatte über die Hitze während des Sommers (bis zu 50 Grad), die eine WM kaum zulassen würde. Da erklärt die FIFA noch, keine Pläne zu haben, die WM in die Wintermonate zu verlegen. 2013 berichtete englische Zeitungen von Ausbeutung des Gastarbeiter im Emirat bei den WM-Bauten. 2014 präsentierte die FIFA-Ethikkommission eine Zusammenfassung der Sonderuntersuchung zur Doppel-WM-Vergabe an Russland und Katar. Tenor: Nebulöse Vorgänge, aber kein Beweis für einen WM-Kauf. Der Chefermittler aus New York, Michael Garcia, trat wütend zurück. Im Februar 2015 schlug eine Task-Force der FIFA den November und Dezember als beste Lösung für die WM-Austragung vor. Ein Monat später winkte das Exekutivkomitee die Verlegung durch.  Vor zwei Jahren machte Amnesty International den Vorwurf, es habe kaum Fortschritte beim Schutz der Arbeitsmigranten gegeben. Katar hat als Regierungsform die absolute Monarchie, seit 2013 ist Emir Scheich Tamim bin Hamad Al-Thani der Regierungschef.

Die deutschen TV-Anstalten überboten sich in den letzten Wochen geradezu mit kritischen Berichten über Katar. Das Islamismus-Emirat soll demnach auch einer der Terror-Finanziers sein. Diejenigen, die mehr Fairness für das WM-Austragungsland forderten, blieben eine kleine Minderheit. Als letzte Woche im ZDF WM-Botschafter Khalid Salman in einer unfassbaren Entgleisung die Homosexualität als Schaden des Geistes bezeichnete, war die Schlagzeile  „zeigt´s den Schwulen-Hassern“ einen Tag später in „Bild“ zu lesen. In der Schweiz gab der 86 jährige Sepp Blatter, der 2010 FIFA-Boss war, bereitwillig Interviews. Bezeichnete die Vergabe an Katar als Fehler, er sei für die USA gewesen. Kritisierte Nachfolger Infantino, weil er den Iran wegen der brutalen Vorgehens im eigenen Land gegen Protestierende nicht kurzfristig von der WM ausschloss.

Sicher wird die der kürzesten Wege seit 1930. In knapp unter drei Stunden kann man alle acht Stadien abfahren. Fünf sind es in Doha und Al-Rayyan, zwei miteinander verwachsenen Städten, drei außerhalb. Zwischen denen maximal 67 Kilometer liegen. Vier bis acht Milliarden Euro kosteten die acht Spielstätten, fünf sind mit der S-Bahn erreichbar. Aber nach dem 18. Dezember, dem Tag des WM-Finales, gibt es für die Stadien kaum eine vernünftige Verwendung mehr. Von nachhaltig und umweltfreundlich kann daher bei dieser WM nicht gesprochen werden. Auch weil es zu wenig Hotelbetten für die erwarteten 1,4 Millionen WM-Besucher gibt. Obwohl die Kataris mehrere Kreuzfahrtschiffe mieteten, die im Hafen von Doha stehen, auf denen tausende Fans schlafen sollen. Viele werden aus Saudiarabien, Dubai und Abu Dhabi nur zu den Spielen eingeflogen. Von 160 Flügen, die täglich abgewickelt werden sollen, ist die Rede.

Eine WM der Schande? Europaweit hängen in den letzten Wochen bei den Spielen Fanplakate mit Forderungen nach einem WM-Boykott. Soll also die Devise heißen, Katar abschalten, den Bildschirm zu Hause dunkellassen? Wer sich trotzdem die WM-Spiele anschaut, der braucht wirklich kein schlechtes Gewissen zu haben. Weil europaweit die Politiker zuletzt mit dem problematischen WM-Land wenig Probleme hatten, wenn es um Gaslieferungen ging.

Foto: FIFA.

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