Fußball

Hätte Österreich gegen die Ukraine besser verlieren sollen?

Österreich bezwang einen Viertelfinalisten der  Europameisterschaft. Wer hätte nach dem 1:0 in Bukarest gedacht, dass die damals ziemlich kraftlos wirkenden Ukraine acht Tage später über ihren größten Erfolg seit dem WM-Viertelfinale 2006 jubeln wird? Wahrscheinlich nicht einmal Teamchef Andriy Shevchenko. 2006 war er Spieler, der Erfolg von Glasgow, das 2:1 (1:1, 1:1) in der Verlängerung gegen Schweden vergrößert noch seinen Volksheldenstatus in der Ukraine, falls das überhaupt möglich ist. „Diese Mannschaft verdient sich die Liebe einer ganzen Nation“, lobte  Shevchenko seine Spieler. Das hätte er gar nicht sagen müssen. Denn weiterzukommen als Russland, das bedeutet  in diesen Zeiten in der Ukraine momentan mehr als fast alles andere.

Das Match im Hampden-Park erinnerte, je länger es dauerte, immer mehr an ein Gemetzel. Die meisten Spieler  schleppten sich nur noch kraftlos über den Rasen, fast jede Minuten kamen die medizinischen Betreuer des Teams auf das Feld, um liegen gebliebene und angeschlagene  Akteure zu behandeln. Eine Unterbrechung jagt die andere. Die längste gab es, als nach neun Minuten der Verlängerung Schwedens Innenverteidiger Marcus Danielson zwar zuerst den Ball, aber danach auch das Knie von Dynamo Kiew-Stürmer Artem Bessedin traf, der minutenlang behandelt wurde, mit Muskelverletzungen und Verdacht auf Kreuzbandriss ausschied. Der italienische Schiedsrichter Daniele Orsato zeigte zunächst gelb, nach Intervention des Video-Referees aus Nyon rot. Kurz zuvor hatte  Schwedens Teamchef Janne Andersson drei neue Offensivspieler eingewechselt.

Die numerische Überlegenheit nützte die Ukraine erst in der ersten Minute der Nachspielzeit der Verlängerung zum Aufstieg, als der nach 106 Minuten für Routinier Andriy Jarmolenko eingewechselte 24 jährige Stürmer Artem Dovbyk per Kopf eine Flanke von Oleksandr Zinchenko verwertete, sich damit zum neuen Volkshelden machte. Es war der erste EVM-Einsatz des Stürmers von Dnipro Dnipropetrwosk, sein erstes Tor für die Ukraine in seinem erst dritten Länderspiel. Von 2018 bis 2020 war er Legionär in Dänemark bei Midtylland und Sonderjysk, ohne dabei groß aufzufallen. Zum „Man of the match“ wurde Manchester City-Legionär Zinchenko gewählt: Mit links das 1:0 erzielt, Assist zum entscheidenden 2:1. „Lasst uns feiern“, riet er  seinen Landsleuten, „wir leben nur einmal. Wer weiß, ob wir noch einmal solche Momente erleben dürfen.“ Er lebte mit den Spielern noch nach Mitternacht im Hampden Park vor, was er meinte (Bild oben).

Im Viertelfinale trifft die Ukraine Samstag in Rom auf England. Der größte Außenseiter auf den EM-Titel (siehe unten) fordert den Wettqouten-Favoriten, der bisher kein Tor kassierte. Wäre kein Wunder, wenn Englands Tormann Jordan Pickford dies auch im fünften EM-Spiel schaffen würde. Die Ukraine ist die einzige Mannschaft aus der Österreich-Gruppe, die im Viertelfinale dabei ist. Österreich scheiterte an Italien, Holland an Tschechien, weshalb Teamchef Frank de Boer wie erwartet schon Geschichte ist. Natürlich werden in Österreich jetzt einige von schlechter Strategie sprechen. Weil eine Niederlage gegen die Ukraine für die „leichtere“ Aufgabe im Achtelfinale gesorgt hätte. Für Schweden statt Italien. Ernst darf man solche „Kombinationen“ aber nicht nehmen. Abgesehen vom Prestige: Keiner konnte wissen, ob eine Niederlage gegen die Ukraine für einen Platz unter den vier besten Dritten und zum Aufstieg gereicht hätte. Keiner konnte wissen, dass Schweden die Spanien-Gruppe gewinnen wird. Österreichs 1:0 war schon die „bessere“ Variante. Obwohl eine Leistung wie in Wembley gegen Italien in Glasgow vermutlich zum Sieg über Schweden gereicht hätte.

 

Foto: UEFA.

2

Meist gelesen

Nach oben