Fußball

Happels Revival: Er war auch das Vorbild von Jupp Heynckes

Sein 25. Todestag wird  zum großen Revival von Ernst Happel: Österreichs Länderspiel gegen Uruguay steht Dienstag im Zeichen des Gedenkens an den größten und erfolgreichsten Trainer, den die Alpenrepublik hervorgebracht hat, an den 51fachen Teamspieler, der zur Mannschaft gehörte, die 1954  mit Platz drei in der Schweiz Österreichs bisher beste WM-Platzierung geschafft hatte. Happels Enkelin Christina, eine Fernsehjournalistin, die nicht nur bei Sky, sondern auch in der Presseabteilung von RB Leipzig arbeitete,  wird den Ankick vornehmen. Zu einem Interview mit ihr und ihrem Vater kam „FussballBild“ letzte Woche nach Wien. In Happels legendäres Stammcafe Ritter, sein zweites Wohnzimmer, auf der Ottakringerstrasse 117, wo er während seiner Wien-Aufenthalte stets einer seiner Leidenschaften, dem Kartenspielen geradezu fröhnte.  Vergangenen Samstag erschien eine Doppelseite zum Gedenken an den Trainer, unter dem der Hamburger SV sine größten Triumphe gefeiert hatte.

Am Montag Abend moderiert Christina Happel im Cafe Ritter eine Gedenksendung an ihren Großvater, die ab 19.45 Uhr live auf der Facebook-Seite https://www.facebook.com/happel.ernst/ übertragen wird. Das Thema heißt:  „Mensch, Unikat, Phänomen -Anekdoten und Geschichten über Ernst Happel.“ Dabei sind: Welt-und Europameister Günter Netzer, der extra aus Zürich kommt. Er hatte als Manager des Hamburger SV Happel in die Hansestadt geholt, mit ihm die Supererfolge gefeiert und bald erkannt, wie man den bei deutschen Medien als „Grantler“ verschrieenen Happel bei Laune halten konnte. Etwa, indem er Trainingslager in Nähe von Casinos buchte, die Happel auch sehr schätzte. Netzer über Happel.: „Er konnte seine menschlichen Qualitäten nicht aussprechen, er hat sie einfach gelebt.“ Ebenfalls dabei: Rapid-Legende Alfred Körner, über zwei Jahrzehnte bei Rapid und im Team Happels Mitspieler, Franz Hasil, den Happel von Schalke zu Feyenoord Rotterdam lotste, der unter ihm die beste Zeit seiner Karriere  mit Meistertitel, Europacup- und Weltcupsieg hatte, sich erinnern kann, dass Happel Stärken und Schwächen des Gegners in höchstens zehn Minuten genau erklärte. Dann Österreichs Rekordteamspieler Andreas Herzog, zweifacher Torschütze bei Happels letztem Spiel auf der Trainerbank als Teamchef, dem 5:2 gegen Israel  zwei Wochen vor seinem Tod, Heinz Palme, Happels Pressechef während seiner zu Teamchefära 1992. Das Happel Revival wird garantiert zum Highlight.

Jupp Heynckes, durch seine erfolgreiche Rückkehr auf Bayerns Trainerbank mit 72 Jahren derzeit in aller Munde, gestand  letzte Wochen im Rahmen der „Bild“-Serie über ihn unter dem Titel „Jupp der Große“,  welch entscheidende Rolle Happel  in seiner Karriere gespielt hatte. Seit dem 3.August 1972. Da sass Heynckes, damals Spieler bei Mönchengladbach, verletzt auf der Tribüne, als Feyenoord zu einem Freundschaftsspiel kam. Und konnte genau studieren, wie revolutionär und zukunftsorientiert Happel spielen ließ. Mit einer Viererkette in der Raumdeckung, mit Abseitsfalle, aggressivem Pressing seiner Zeit voraus. Feyenoord gewann 3:2, seit diesem Tag war Happels das Trainer-Vorbild für Heynckes. Der auf Gladbachs Trainerbank Jahre später zwölfmal auf Happel getroffen war. Das Ergebnis: Nur zwei Siege, drei Unentschieden aber sieben Niederlagen. Auch Österreichs aktuelle Trainerlegionäre in der Bundesliga, Ralph Hasenhüttl und Peter Stöger wissen, wie Happel dachte. Sie waren unter ihm Teamspieler, Hasenhüttls Pressing mit RB Leipzig erinnerte durchaus an Happels Stil.

Seine Triumphe mit Feyenoord verfolgte ich noch als Jungjournalist auf dem TV-Schirm. Erstmals näher kennengelernt und mit ihm geredet habe ich 1975 in der Südstadt. Dort war er im August mit dem FC Brügge auf Trainingslager: „Ich nehm` ein bissl Urlaub vom Spitzenfussball, bau` eine neue Mannschaft auf“, sagte er damals ganz locker. Wenig später verlor er mit Brügge im jetzt nach ihm benannten Praterstadionvor nur 4000 Zuschauern  ein Freundschaftsspiel gegen Rapid 2:7. Hans Krankl traf dreimal, ein gewisser Rudi Jelinek erlebte als zweifacher Torschütze den Höhepunkt seiner Karriere. Den Journalisten, die nachher zu Happel in die Kabine wollten, knallte er eigenhändig die Tür vor der Nase zu. In Sachen Kabine kannte er kein Pardon: Einmal warf Kettenraucher Happel den Bürgermeister von Brügge hinaus, weil der mit einer Zigarre im Mund zur Gratulationstour kam. Brügge bedeutete keinen Urlaub vom Spitzenfussball: Dreimal Meister, 1978 ersatzgeschwächt das Finale des Europacups der Meister in Wembley gegen den FC Liverpool 0:1 verloren. Mit dem Ex-Austrianer Edi Krieger als Abwehrchef. Im selben Jahr fuhr er mit Holland  zur Weltmeisterschaft nach Argentinien. Deklassierte dort in der Zwischenrunde seine österreichischen Landsleute mit 5:1. Kam ins Finale gegen Argentinien, das erst im Nachspiel 1:3 verloren ging. In der letzten Aktion der regulären Spielzeit wäre der als Spieler „Wödmasta“ genannte Happel in Buenos Aires dies fast auch als Trainer geworden. Rob Rensenbrink traf die Stange.

Die Medienarbeit war nicht gerade Happels Welt. Er war anfangs in seinem Mischmasch aus holländisch und deutsch auch nicht leicht zu verstehen. Man lernte, dass er mit „mental flag“ die Einstellung meinte, mit „spitz zentral“ den Mittelstürmer. Aber wo immer er auch war, für Österreicher machte er eine Ausnahme. Auch nach dem WM-Finale. Statt zur internationalen Pressekonferenz ging er zu den Journalisten aus seiner Heimat. Denen stand er Rede und Antwort. Mit mir plauderte er an der Bar in den Katakomben von „El Monumental“, des Stadions von River Plate, über den bevorstehenden, von ihm geschätzten traditionellen Sommerurlaub in Velden am Wörther See. Mit Casinobesuch am Abend. Vier Jahr später nahm mich Happel ins Casino mit. Ich fühlte mich geehrt. In Hamburg, damals im letzten Stock des Interconti-Hotels an der Alster,  nach seinem ersten Meistertitel. Ich musste die Aufgaben seines langjährigen Wiener Freundes Leopold „Wurmerl“ Brunnbauer, der an diesem Abend ausnahmsweise fehlte, übernehmen: Die Zahlen, die beim  Roulett fielen, mitschreiben. Nach etwa einer halben Stunde fühlteich mich bemüßigt, Happel mitzuteilen, dass er mit rund 25.000 Mark, heute rund 14.000 Euro, im Minus  war. Da legte er mir die Hand gönnerhaft auf die Schulter: „Junger Freund, ich bin gerade großdeutscher Meister geworden, dafür gab es eine sechsstellige Prämie. Die 25.000 Mark sind nur ein Lackschuh weniger.“ Stunden später verließ Happel das Casino ohne Verlust.

Ein Jahr später lag ihm wieder einmal Fußball-Europa zu Füßen: Mit dem Hamburger SV als Außenseiter in Athen das  Europacupfinale gegen Favorit Juventus Turin mit Giovanni Trapattoni auf der Trainerbank 1:0 gewonnen. Beim Triumphbankett sassen nur Landsleute von ihm an seinem Tisch. Sein Sohn, dazu Helmut Senekowitsch, der einige Male mit ihm für Österreich gespielt hatte, damals gerade Trainer bei AEK Athen war. Und fast alle Journalisten, die nach Athen geflogen waren. Die wussten inzwischen, dass es nicht unbedingt böse gemeint war, wenn sie Happel dazu aufforderte, sich je nach Jahreszeit in den Schnee oder Koks zu werfen. Auch ich registrierte in Athen, wie fast abweisend Happel darauf reagierte, als der deutsche Teamchef Jupp Derwall zum Gratulieren kam. Den Grund verriet er wenig später: „Wenn einer über meine Spieler schlecht redet, ist es aus.“ So schonungslos Happel intern seine Stars kritisierte, nach außen hin stellt er sich vor sie. Im konkreten Fall ging es um Flankengott Manfred Kaltz. Auch das war Happel. Sein Kapitän, Torjäger Horst Hrubesch, meint noch heute: „Wenn er in die Kabine kam, war das, als hätte jemand das Licht angemacht.“ Hamburgs Spielmacher Felix Magath, der Goldschütze in Athen, behauptete auch zu Zeiten, in denen er als Meistertrainer bei Bayern und Wolfsburg gefeiert wurde: „Was heute im Fußball als neu und modern gilt, hat uns schon alles Happel in Hamburg erzählt.“ Schon damals begleiteten ihn die Gerüchte über die Krebserkrankung. Die Happel mit den Worten „schlimme Verdächtigungen“ abtat.

Ich war auch 1987 in Berlin bei Happels letzten Match als Trainer des Hamburger SV dabei. Beim 3:1 im Pokalfinale gegen die Stuttgarter Kickers. Happel verabschiedete sich als Pokalsieger, entschied sich bereits ein halbes Jahr davor,  dem Ruf des Swarovski-Bosses Gernot Langes nach Tirol zu folgen, in die Heimat zurückzukehren. Geld spielte damals im Hause Swarovski keine Rolle. Happel brauchte ein Jahr, um den FC Tirol nach seinen Vorstellungen umzubauen. Als ihn der damalige Tiroler Mittelfeldstar Hansi Müller um eine Aussprache bat, sagte Happel nur: „Wenn´s reden wollen, müssen´s Staubsauger-Vertreter werden. Ich brauch´ nur Fussballer.“ Ab Happels zweiter Saison in Tirol  gab es für die Wiener Großklubs gegen den Ur-Wiener Happel nichts mehr zu gewinnen. Er pflegte  die Rivalität von Tirol gegen Wien, fühlte sich mitunter fast wie ein Nachfahre des Tiroler Volkshelden Andreas Hofer. Als ich nach einem 1:0-Sieg des FC Tirol in der Südstadt gegen Admira schrieb, Happel habe mit Tirol Alpen-Catenaccio gespielt, reagierte er wütend. Warf zwei Tage später  Bruno Pezzey, damals Kolumnist bei der „Kronen-Zeitung“, die Ausgabe mit Alpen-Catenaccio vor die Füße: „In dein Kasblattl steht nur Blödsinn.“

Mit mir redete er danach kein Wort. Bis 1992, als er Österreichs Teamchef wurde. Bald danach ein Anruf von Pressechef Palme: „Herr Happel möchte Dir ein Interview geben.“ Dazu gab´s gleich den Termin. Ich kam überpünktlich, da ich genau wusste, wie sehr Happel auf Pünktlichkeit Wert legte. In seiner Teamchefzeit ließ er einmal Michael Konsel und Peter Artner auf eigene Kosten mit dem Taxi vom Hotel in der Südstadt zu Flughafen nachfahren. Wer zu spät zur Abfahrt kam, spürte dies. Also klopfte ich pünktlich an Happels Tür. Er rief „herein“ , kam mir entgegen, schüttelte mir die Hand: „Jetzt könn´ma wieder normal miteinander reden.“ So blieb es bis zu seinem viel zu frühen Tod. In den elf Monaten als Teamchef musste er miterleben, wie erstmals eine von ihm trainierte Mannschaft nicht einmal auf das Tor des Gegners schoss. Passiert beim 0:2 in Paris gegen Frankreich mit den Topstars Jean Pierre Papin und Eric Cantona.  Mit 66 erlag Happel dem Lungenkrebs.  Seine letzte Botschaft via Lebensgefährtin Veronika aus dem Innsbrucker Spitalsbett an ÖFB-Präsident Beppo Mauhart und die Teamspieler endete mit den Worten: „Da wird was draus.“ Vier Tage nach seinem Tod trotzte Österreich in Nürnberg Deutschland ein 0:0 ab. Fünf Jahre später gelang die  bisher letzte WM-Qualifikation unter Herbert Prohaska.

 

Foto: Fussball Bild.

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