Von 1974 in Deutschland bis Brasilien 2016 war ich bei elf Weltmeisterschaften live dabei. Mit vielen interessanten, persönlichen Erlebnissen. Bei meiner zweiten, 1978 in Argentinien, erstmals mit Österreichs Team und sozusagen als Draufgabe mit dem Wiener Startrainer Ernst Happel, damals in Belgien beim FC Brügge unter Vertrag, als Teamchef Hollands. Nach 20 Jahren war Österreich wieder bei einer WM dabei. Schon die Qualifikation gegen die DDR, die Türkei und Malta avancierte zum Thriller: Es begann im Gzira-Stadion von La Valetta auf Sand, als nur Hans Krankl den übergewichtigen Malta-Goalie Mizzi bezwang. Dann immer wieder Zweifel von ÖFB-Präsident Karl Sekanina an den Qualitäten von Teamchef Helmut Senekowitsch, die auch das 1:0 gegen die Türkei mit dem Siegestor des 20jährigen Walter Schachner von Zweitdivisionär DSV Alpine und ein 9:0 gegen Malta in Salzburg mit sechs Krankl-Toren nicht beseitigten. Also setzte Sekanina ihm den ehemaligen in Deutschland (Meister mit 1860 München und dem 1.FC Nürnberg) und Spanien (Meister mit Atletico Madrid) Peitschenknaller Max Merkel als Sporrtdirektorvor die Nase. Die Harmonie zwischen beiden war nicht die beste. Mit dem 1:1 gegen die DDR in Wien samt Ausschluss von Krankl schien die beste Ausgangsposition weg. Drei Wochen später ersetzte Senekowitsch in Leipzig den Torjäger durch Mittelfeldspieler Herbert Prohaska. Einer Superleistung des zum Weltklassetormann gereiften Friedl Koncilia war das 1:1 vor 95.000 Zuschauern zu verdanken. Das 1:0 von Izmir durch „Prohaskas“ Spitz nach Krankls Solo sicherte das WM-Ticket. Zur WM-Auslosung flogen Merkel und Senekowitsch nach Buenos Aires. Gemeinsam bummelten sie durch die Prachtstraße von Argentiniens Hauptstadt namens Florida. Der stets bescheidene Senekowitsch entdeckte ein paar Lederschuhe, die ihm besonders gefielen, stellte jedoch bedauernd fest: „Aber die sind so teuer“. Darauf der Ur-Wiener Merkel: „Waßt´was, kauf dir nur einen!“
In der Gruppe mit Brasilien, Spanien und Schweden galt Österreich als krasser Aussenseiter. Bevor Österreichs Team Ende Mai am Flughafen Ezeiza von Buenos Aires landete, stand in der Sportschule Lindabrunn der Prämienpoker zwischen Sekanina und den Spielervertretern knapp vor dem Scheitern. Die hatten erbost vom geringen Angebot und dem Verhandlungsstil Sekaninas sogar einen Termin platzen lassen, sassen zum „Teambuilding“ beim Heurigen, als Sekanina aus Wien zu neuen Gesprächen kam. Als Kompromiss gab der Präsident für jeden Spieler die Werbung frei, das konnten freilich nur fünf nützen. Spanien war der erste Gegner, der seinen letzten Test vor der WM in Montevideo gegen Uruguay betritt. Dass der ÖFB, wie es heutzutage selbstverständlich wäre, einen Scout dorthin schickte, stand damals aus finanziellen Gründen nicht zur Debatte. Ich fand in der „Presse“ angesichts des um sich greifenden WM-Fiebers doch noch ein offenes Ohr für den Wunsch, das Match in Montevideo zu sehen. Also zuerst nach Buenos Aires, dann für einen Tag nach Montevideo und wieder zurück geflogen. Als ich Senekowitsch noch in Wien von meinem geplanten Abstecher erzählte, bat er mich: „Schreib´mir nachher auf einen Zettel alles zusammen, was dir aufgefallen ist. Auch wer von wo die Eckbälle schießt, was bei den Freistössen passiert.“ Ich fühlte mich geehrt. Als ich Senekowitsch dann den Zettel gab und er dort las, dass der spanische Mittelfeldstar Leal nicht wie gewohnt auf der rechten, sondern der linken Seite spielt, glaubte er mir dies noch nicht: „Das gibt´s net.“
Das passierte vier Tage vor dem Spiel beim Empfang in der österreichischen Botschaft. Bei dem Senekowitsch mit der Bekanntgabe seines Rücktritts nach der WM überraschte, von dem er behauptete, Sekanina bereits einen Monat davor informiert zu haben, die Spieler danach rechtzeitig. Der Präsident nahm dies offenbar nicht wirklich ernst wie schon während der Qualifikation ein Rücktrittsangebot des Teamchefs. Es war ein bizarres Schauspiel: In einem Raum der Botschaft gab Senekowitsch Interviews, im anderen machte sich Merkel über den angekündigten Rücktritt lustig. Österreichs WM-Quartier befand sich eine Autostunde außerhalb von Buenos Aires in Moreno. In einem Gewerkschaftsheim. Die höchstens 18 Quadratmeter großen und spartanisch eingerichteten Zimmer fanden wenig Beifall. Brügge-Legionär Edi Krieger war überzeugt, die Italiener würden sich so etwas nicht bieten lassen. Die Journalisten mussten täglich zwei Stunden Busfahrt von Buenos Aires nach Moreno und zurück in Kauf nehmen. Die spezielle Prämie: Ein Kalbsgulyas mit Nockerln, das Teamkoch Georg Pesek fast täglich servierte.
Argentinien war seit 1976 eine Militärdiktatur, General Jorge Videla hatte sich zur Macht geputscht. Mord und Folter von politischen Gegnern sollen zur Tagesordnung gezählt habe, bei der WM bemerkte man davon aber nichts. Auffällig waren aber die riesigen Sicherheitsmaßnahmen, Schon vor 40 Jahren bewachten 500 Soldaten nur die Österreicher. Wenn die mit dem Bus wohin fuhren, räumte die Polizei die Strecke rigoros. Bei Bedarf auch mit Schlagstöcken. Den Busfahrer nannten Österreichs Spieler bald Niki Reutemann- eine Kombination aus Österrechs Formel-1-Champion Niki Lauda und seinem argentinischen Ferrari-Stallgefährten Carlos Reutemann.
Die ersten zwei Spiele bestritt Österreich im Velez Sarsfield-Stadion von Buenos Aires. Gegen Spanien waren der Großteil der 50.000 Besucher „spanienfreundliche“ Argentinier, die aber den österreichischen 2:1-Siegern nach dem Match „Standing Ovations“ spendeten. Ich hörte von Alfredo di Stefano, dem Ex-Superstar von Real Madrid, nur lobende Worte von einem „Triumph des Wiener Walzers, der Planung und Intelligenz.“ di Stefano war von 1974 an ein Jahr lang Trainer von Kurt Jara beim FC Valencia. Nach dessen abgeblockten Schuss sorgte Krankl 14 Minuten vor Schluss für den verdienten Sieg. Österreichs erstes WM-Tor erzielte Schachner aus der zweiten Division bereits nach zehn Minuten, als er mit einem Pass von Bruno Pezzey allen davon lief,aus unmöglichem Winkel den Ball unter die Latte donnerte (Bild unten) „Ich wollt´nur das Tor treffen“, sagte er mir nachher in der Kabine. Dann war Krankl nicht zu überhören, als er aus der Dusche kam und schrie: „Mein allerschönstes Tor.“ Die Heimfahrt nach Moreno wurde zum Triumphzug. Der Journalistenbus durfte im Konvoi mit. Argentinische Fans skandierten am Straßenrand „Austria, Austria.“ Pesek servierte in Moreno Wiener Schnitzel. Zur Nachspeise erschienen auch die ÖFB-Funktionäre aus Buenos Aires. Als Sportler verkleidet. Landesverbandspräsidenten in blauen Trainingsanzügen. Irgendwann kam der Teamchef zu mir, klopfte auf meine Schulter. „Leal hat wirklich links gespielt, alles hat gepasst. Danke, den Zettel heb´ich auf.“ 21 Jahre später zeigte ihn mir der Pensionist Senekowitsch tatsächlich im Keller seines Hauses in Klosterneuburg.
Senekowitsch bekam nach dem zweiten Sieg aus Wien von Sekanina ein lukratives Angebot zur Vertragsverlängerung. Aber der Steirer blieb beim Nein. Merkel war vor dem ersten WM-Spiel mit dem Sager „ich war bei der Hochzeit nicht dabei, also muss ich es beim Begräbnis auch nicht sein“ abgereist. Nach dem Schweden-Sieg ließen die Spieler Merkel einen Kranz schicken, der danach selbst Abschied nahm. Mit dem Aufstieg musste die Erste Österreichische Sparcasse ein Versprechen einlösen, das ihr Krankl nach der Qualifikation abgerungen hatte: Alle Spielerfrauen durften auf Bankkosten zur WM nachkommen. Der „Damenbesuch“ galt damals weltweit als Neuigkeit und Sensation. Sogar das brasilianische Fernsehen filmte, als die Spielerfrauen im Hotel „Libertadores“ in der Innenstadt von Buenos Aires eincheckten. Pech, dass sie ausgerechnet vor dem 1:5-Debakel gegen Holland eintrafen. Wegen Nebels, der den Flugverkehr lahm legte, schafften sie es nicht nach Cordoba. kam es erst am Tag danach zum Wiedersehen. Am Flughafen El Paloma bei Buenos Aires. Der ORF durfte nicht fllmen. Auch die Medien blieben ausgesperrt. Die ÖFB-Funktionäre plauderten am Frühstückstisch im Sheraton-Hotel von Buenos Aires die nächtliche Familienfeier im Camp Moreno aus. Kopfschütteln über den Vorarlberger Verbandschef Hugo Häusle, der verständnislos wortwörtlich sagte, im Zweiten Weltkrieg sei das Entschleimen auch nicht notwendig und möglich gewesen.
In Cordoba waren die österreichischen Außenseiter in die Konterfalle der von Happel nach der schwachen Vorrunde umgekrempelten Holländer gelaufen. Nach 36 Minuten stand es bereits 0:3. der Sprung unter die letzten vier damit Illusion: „Da haben halt einige geglaubt, sie müssten nicht mehr auf den Trainer hören“, sagte mir Senekowitsch am Tag vor dem 0:1 gegen Italien im River Plate-Stadion von Buenos Aires. Ein Malheur des neu in die Mannschaft gekommenen Linksverteidigers Heini Strasser sorgte nach 13 Minuten für das 0:1. So sehr der vorbildliche Kapitän Robert Sara die Mannschaft nach vorne trieb, Italiens Abwehr hielt stand. Ich hörte danach Senekowitsch so sauer wie nur selten über einen Referee reden wie über den Belgier Michel Rion, der zumindest einen Elfer für Österreich übersah. Damit war die Aufstiegschance dahin, Und Senekowitsch sagte nach den schechte Erfahrungen das zweite Familienfest in Cordoba wieder ab. Um Mitternacht mussten die Damen zurück in ihr Hotel. Kam bei der Mannschaft schlecht an. Trotzdem folgte noch die unvergeßliche Sternstunde von Cordoba, als die Österreicher erstmals seit 47 Jahren Deutchland bezwang, mit dem 3:2 den Titelverteidiger heimschickten, ein 0:1 heimschickten. Krankls erster großer Auftritt (Bild unten) sorgte mit einem Volleyhammer für das 2:1. Deutschland glich aus, hätte damit das Spiel um Platz drei geschafft, aber Krankl stürmte zwei Minuten vor Schluss mit einem Sara-Diagonalpass unwiderstehlich davon, tanzte den deutschen Libero Manfred Kaltz aus, bezwang Sepp Maier. Da brüllte die Kärntner Hörfuklegende Ingenieur Edi Finger zunächst „Tor, Tor, Tor“, dann „i werd´narrisch“. Fingers persönliche Sternstunde wurde sogar zum Schallplattenhit. Happel quartierte sich danach mit sind noch 40 Jahre später stolz auf diesen Sieg, werden am Jahrestag sogar von Bundespräsident Alexander van der Bellen in der Hofburg empfangen. Dass es damals Dissonanzen trotz des Triumphs gab, ist heute längst vergessen. Alles zu sehen nächsten Montag in einer Dokumentation mit den Cordoba-Siegern, unter anderem Prohaska (Bild unten), von Servus TV. Für die deutschen Verlierer gab´s noch am Heimflug nach Frankfurt noch eine Demütigung: Sie sassen bereits in der Lufthansa-Maschine, als die Tür nochmals aufging und einige österreichische Sieger wie Bruno Pezzey mit strahlender Miene hereinkamen, die bis Rio de Janeiro flogen, um dort Urlaub zu machen und dort dort jovial von den von von ihnen entthronten Titelverteidigern verabschiedeten. Die Cordoba-Helden, die nach Wien flogen, wurden in Schwechat von tausenden Fans groß gefeiert.
Ich bekam damals wegen des Nebels damals nicht nach Cordoba, sah statt dessen wie in Buenos Aires Happel durch ein 2:1 über Italien ins Finale kam, die Verlierer dennoch das Spiel um Platz drei schafften. Blickte aber sehr oft auf den TV-Kominotr neben dem Platz auf der Pressetribüne, auf dem Österreichs Spiel zu sehen war. Unvergesslich wie danach auf der Pressekonerenz im River Plate-Stadion Happel forderte: „Jetzt müssen die Italiener mindestens halb Südtirol an Österreich zurückgeben.“ Happel übernahm mit den Holländern das Österreicher-Quartier in Moreno. Seine erste Frage: „Gibt´s dort ein Casino?“ Gab es nicht. Am Tag vor dem Finale fuhren die österreichischen Journalisten, die geblieben waren, zu Happel hinaus, der sie an die Bar auf einen Drink einlud und die Frage des Barkeepers „Wie immer, Herr Happel?“ bejahte. Es kamen Gläser mit einem Getränk, das nach Coca Cola aussah. Nach dem ersten Schluck wusste ich, dass da etwas anderes, viel störkeres, drinnen war.
Im Finale scheiterte Happel mit Holland an einem Stangenschuss von Rob Rensenbrink in letzter Sekunde und an WM-Schützenkönig Mario Kempes. Der erzielte das 1:0, in der Verlängerung das 2:1 und legte das 3:1 auf. Die offizielle Pressekonferenz danach boykottierte Happel mit den Worten „Zu solchen Scheißfiguren gehe ich nicht“, setzte sich mit den Landsleuten lieber an die Bar, bilanzierte: „Das Gastgeberland hat immer Vorteile.“ Dass sich Happel und Kempes Ende der Achtzigerjahre wieder in Österreich treffen sollten, ahnten damals weder er und der neue Weltmeister, noch ich. Happel war Trainer des FC Tirol, Kempes spielte bei Vienna, St. Pölten und Krems.
Foto: © ServusTV.