Fußball

Meine elf Weltmeisterschaften: In der ersten oder dritten Welt! Die Frage nach Frank Stronach in Maracana

Von 1974 bis 2014 war ich bei elf Weltmeisterschaften hintereinander live vor Ort. 2014 erstmals seit  36 Jahren wieder in Südamerika, im Fußball-Traumland Brasilien. Österreich hatte dort schon ein Hauptquartier ausgesucht. Der  damalige Sportdirektor Willi Ruttensteiner wählte mit Teambetreuer Christian Schramm im September 2015 Vitoria,die Hauptstadt der Provinz Espirito Santo aus. Der Lokalaugenschein geschah auf Befehl des Weltverbands, weil damals die Chancen auf das Brasilien-Ticket intakt waren. Das Sheraton-Hotel direkt am Atlantik war reserviert, ehe durch das 1:2 in Stockholm gegen Schweden alles hinfällig wurde. Österreichische WM-Beteiligung? Rekordtamspieler Andi Herzog als Assistent des US-Teamchefs aus Deutschland, Jürgen Klinsmann. Österreich-Bezug gab´s bei Kroatien durch Niko Kovac, den Teamchef mit Red Bull Salzburg-Vergangenheit, Ex-Rapid-Stürmer Nikica Jelavic, Ex-Sturm-Legionär Gordon Schildenfeld. Deutschland baute sich ein eigenes Camp nach seinen Vorstellungen, ließ sich das germanische Dorf 1,5 Millionen Euro kosten. In Santo Andre , einem 700 Einwohner-Dorf, bei Porto Seguro, dem „Mallorca“ Brasiliens. Zu erreichen nur über eine Fähre. Dazu baute der DFB ein eigenes Trainingsgelände  mit 2,44 Meter  hoher und 105 Meter langer Wand gegen Trainings-Spionage

Erstmals gab´s bei der WM die Torlinientechnologie und die Spraydose für die Referees, mit der sie bei Freistoßentscheidungen den Tatort genau markieren konnten. Titelverteidiger Spanien begann unglaublich. Ich traute meinen Augen nicht, was ich in Salvador di Bahia sah: Titelverteidiger Spanien bezog seine höchste WM-Niederlage seit 1950. Ob es eine Rolle spielte, dass die“Furia Roja“ statt wie gewohnt in Rot beim 1:5 gegen Holland nach 1:0-Führung in der Neuauflage des WM-Finales von 2010 ganz in Weiß wie Roy Black spielte? Mehr als 10.000 Oranje-Fans feierten das Traumduo Arjen Robben und Robin van Persie, die den Titelverteidiger mit je zwei Toren auseinandernahmen, jubelten Teamchef Louis van Gaal zu, der zu seiner Barcelona-Zeit die spanischen Mittelfeldstars Xavi und Andres Iniesta gefördert hatte.

Die nächste Station war Fortaleza, um Brasiliens erstes Spiel zu sehen.  Im Flieger dorthin Sprechchor-Duelle zwischen brasilianischen und mexikanischen Fans. Es gab eine Nullnummer, nach der ich Salzburgs Ex-Sportchef Heinz Hochhauser, der zuvor auch Trainer bei Austria war, traf. Er urlaubt dort traditionell, stellte fest, dass während der WM alles dreimal so teuer als sonst ist: „Je nachdem, wo du abbiegst. bist du in er ersten oder dritten Welt“. Seine Behauptung, dass Salzburgs Torjäger Alan der bessere Stürmer sei als Brasiliens Fred, hatte etwas für sich. Von Fortaleza weiter nach Natal, zum  WM-Debüt von Herzog auf der Trainerbank, 24 Jahre nach dem als Spieler in Rom. Aus Angst vor Stechmücken wagte er nicht, in kurzen Hosen auf der Bank zu sitzen. Das 2:1 gegen Ghana feierte er mit einem spontan Luftsprung, US-Vizepräsident Joe Biden gratulierte in der Kabine im zweiten Anlauf. Denn als Herzog aus der Dusche kam, stand er nackt vor Biden und dessen Enkelin, worauf ihn Bodyguards zurückdrängten und etwas zum Anziehen brachten. Eine Stunde nach Schlusspfiff kam Herzog mit einem Rucksack aus der Kabine, aus dem weiße Bögen standen. Taktik-Instruktionen, die er seinem Nachbarn in Breitenfurt als Andenken versprochen hatte: „Ich will dieses Match nie missen aber Rom wird immer Rom bleiben. Als Spieler war ich mittendrin, da nur beteiligt.“ Und er fand: „Wir müssen besser werden.“ Klinsmann lobte seinen Assistenten: „Er hat viele gute Ideen,die wir umsetzen. Und längst das Zeug, selbständig Chef eines Teams zu werden“.  Bis heute ist´s in Europa dazu nicht gekommen.

Marcel Koller, der sich nur auf Österreichs kommenden WM-Qualifikationsgegner Russland konzentrieren wollte, kam auch nach Salvador di Bahia zum Spiel seiner Schweizer Landsleute gegen Frankreich. ORF-Hörfunkreporter Martin Lang löcherte via Handy ÖFB-Pressechef Wolfgang Gramann in Wien um ein Interview mit Koller. Der schrieb SMS an den Teamchef, dann stand der Treff fest: Zehn Minute nach Schlusspfiff beim Parkplatz E 4 der Arena Fonta Nova. Ihn beeindruckte nach dem Schweizer 2:5 Frankreichs Torjäger Oliver Giroud und die Stimmung: „Wir müssen im Herbst die Fans so mitreißen, dass es diese Atmosphräe auch in Wien gibt.“

Bei einem Tag ohne Livespiel blieb Zeit für einen Spaziergang am Meer: Zwei Schweizer Hotelgäste gingen links den Weg, ich lieber rechts. Ohne wahren Grund. Eine Stunde später bei der Rückkehr; Polizisten im Hotel. Die Schweizer am helllichten Tag von zwei Jugendlichen ausgeraubt, Pistole angesetzt, Geld weg, Handy weg. Glück gehabt, richtig abgebogen zu sein. Nicht ganz ins „Bistro da Alemao“, ins deutsche Beisl in Salvador, wo ich mir Deutschlands  2:2 ansah. Bei einer Bratwurst. Die kostete acht Euro. Das würde sich kein Würstelstand in Wien zu verlangen trauen.

Am nächsten Tag nach Recife. Dort sah ich am Strand unter vielen US-Touristen, wie Andi Herzog mit Amerika im Dschungelspiel von „Manaus“ in der 95.Minute das 2:2 gegen Portugal, kassierte. Und litt am nächsten Tag mit Niko Kovac, der sich mit Kroatien gegen Mexiko verabschiedete. 0:3,eine klare Angelegenheit. Da ärgert den künftigen Bayern-Trainer maßlos, aus Eckbällen zwei Tore kassiert zu haben: „Das stört mich wahnsinnig. Für diese Situationen hatten wir alles eingeteilt.  Wir sind an einer besseren Mannschaft gescheit. Ich muss mich aber auch selbst hinterfragen.“ Der „Capitano“ hat sich bis heute nicht entscheidend geändert. Ausser, das er vier Jahre mehr Erfahrung hat, Im Hotel Golden Tullip am Meer, wo die Kroaten vor dem k.o. schliefen, stiegen auch die Amerikaner vor ihrem Entscheidungsspiel um den Aufstieg gegen Deutschland ab. Herzog hatte vor dem Abendessen Zeit, kam in die Lobby, deutsche Hotelgäste baten ihn um ein Erinnerungsfoto. Mit Amerika auf Deutschland zu treffen, bedeutete für ihn emotionell etwas anderes als mit Österreich. Berti Vogts, der zum US-Betreuerstab gehörte, schwärme Herzog fast täglich von Marko Arnautovic vor: „Komisch, dass sich Berti mit schwierigen Typen leicht tut.“ Beim Abschied gestand er am 25.Juni: „Seit 13. Mai steh ich täglich schwer unter Strom, Nicht leicht,“

Deutschland und der USA hätten je ein Remis gereicht. Aber das Gijon-Denken war in der Regenschlacht kein Thema. Klinsmann sang beide Hymnen mit, genoss den ersten WM-Aufstieg der Amerikaner, zu dem ein 0:1 reichte. Auch Herzog zählt zu den Genießern, bekam nach dem Spiel in der Kabine nicht wie die anderen Bananen, sondern einen Schokopudding, für ihn eine besondere Belohnung: „Ich bin stolz, ein kleiner Teil eines riesigen Erfolgs zu sein. Was in den USA los ist, kann man sich nicht vorstellen. Sie reden mehr über uns als über die Finalserie im Basketball.“ Präsident Barack Obama sah sich das Match hoch über den Wolken in der Air Force One an. Dramatisch wurde es vier Stunden nach Matchende bei der Fahrt im Medienshuttle zurück in die Stadt: Zwar kein Regen mehr  aber nach zwei Stunden kein Weiterkommen, da in einem Straßenzug das Wasser hüfthoch stand. Die Marschroute des Busfahrers: Warten, bis das Wasser sinkt. Im Bus tobten Journalisten, weil sie ihre Flügel versäumten Einer aus Sao Paulo rief wütend das FIFA-Büro in Rio an. Von dort organisierte eine Dame drei Vans, die aus der Gegenrichtung zur „Befreiung“ kamen. Nach 45 Minuten. Fünf Stunde brauchte es, bis ich im Hotel war. Herzog mit dem US-Team war schneller in Sao Paulo.

In Fortaleza gab es im Achtelfinale ein Oranje-Happy-End gegen Mexiko. Bis zur 88. Minute 0:1, in der 94.Minute aber 2:1 durch ein Elfertor des erstmals eingewechselten Klaas Jan Huntelaar. In 18 Minuten wurde er zum Helden. In der Mixed-Zone redete der Legionär von Schalke Holländisch und Englisch, nicht Deutsch für die deutschen Journalisten. Mit einer Ausnahme: Als er auf meiner Akkreditierung das  Wort „Austria“ sah, folgte mit breitem Grinsen: „Schöne Grüße an Christian Fuchs.“ An Österreichs Teamkapitän, der viele Huntelaar-Tore bei Schalke mit Flanken vorbereitet hatte.

Herzog bekam vor dem Achtelfinale gegen Belgien in Salvador von Klinsmann den Befehl, sein Heimflugticket auf später umzubuchen. Auf die Tage nach dem Finalwochenende. Ein Signal. Noch in Fortaleza bekam ich von ihm die SMS: „Sind im Novotel am Airport. Wennst Zeit hast, schau vorbei.“ Gemeinsam hielten wir in der Lobby vor dem TV-Schirm die Daumen für Deutschland beim  in der Verlängerung erzitterten 2:1 gegen Algerien. Herzog bekam in Recife von Tormannheld Manuel Neuer die Handschuhe für einen älteren Sohn Luca, von Bastian Schweinsteiger den Dress für den jüngeren Louis: „Wenn Deutschland weit kommt, haben wir wenigstens gegen keinen schlechten verloren.“ Am Tag danach ärgerte Herzog das Verlieren im Achtelfinale, das 1:2 gegen die klar besseren Belgier in der Verlängerung, maßlos: „Begeisterung allein kann auf Dauer nicht reichen. Wir bringen offensiv zu wenig. Ich könnte einen umbringen.“ Wen verriet er nicht, Er sah einen, der sich nicht wie alle anderen 13 der spielerisch schlechteren Mannschaft die Seele aus dem Leib lief: „Der verarscht uns seit zwei Jahren.“ Aber das änderte nicht an seinem Riesenerlebnis, bei dem er jeden Tag genoss.

Fast jeden Tag erlebte man in Brasilien etwas Neues. van Gaal erfand im Viertelfinale Hollands gegen Costa Rica in Salvador den Tormannjoker. Nur für das Elferschießen schickte er Newcastle-Keeper Tim Krul, der in der Premier League nur zwei von 20 Penaltys gehalten hatte, in den Kasten. Der hielt prompt zwei, damit stand Holland im Semifinale. Die Bilanz von van Gaal: Viermal in fünf Spielen den Vater des Siegs eingewechselt. Die Entscheidung für Krul fiel, weil er mit 1,93 Meter fünf Zentimeter größer ist als Einsergoalie Jesper Cillessen, der in die Pläne nicht eingeweiht war, wütend reagirte. Das passierte einen Tag nach Brasiliens 2:1 gegen Kolumbien in Fortaleza, einer Härteschlacht über 95 Minuten mit 54 Fouls, das die WM entscheidend beeinflusste: Denn für Brasiliens größte Hoffnung Neymar, bis dahin an der Hälfte aller brasilianischen Tore beteiligt, war die WM beendet. Wirbelbruch, zugefügt durch das Knie des Kolumbiers Juan Zuniga, gegen den es am Tag danach via Facebook Morddrohungen gab, Das brasilianische Sport-TV war nach dem Match dem Krankenwagen in das Sao Carlo Hospital nachgefahren, zeigte nach Mitternacht ein Röntgenbild des gebrochenen Wirbels, das man sich irgendwie beschafft hatte. Das alles beschäftigte Brasilien die ganze Nacht, die Tage danach. Wie er per Helikopter das Teamquartier verließ. Ein Video von ihm bewegte das ganze Land. Staatspräsidentin Dilma Rousseff drückte ihm in einem offenen Brief die Anteilnahme aus. So sehr Neymar in dem Video versicherte, Brasilien könne auch ohne ihn den Titel holen, die Wahrheit im Semifinale sah anders aus. Davor läutete um halb fünf Uhr früh das Handy. Anruf aus Wien vom empörten Ex-Teamspieler Gustl Starek, der auch als Heißsporn bekannt war. Ihn empörte die Gangart bei der WM: Nur noch treten, halten, zerren.

Zwischen Brasilien und Deutschland im Semifinale von Belo Horizonte aber nicht: Deutschland nahm im rot-schwarzen Look des brasilianischen Spitzenklubs Flamengo das Heimteam mit schnellem Umschalten nach allen Regeln der Kunst auseinander.  Fünf Tore zwischen der 11.und 29. Mintue, zur 5:0-Führung. Danach hörte man nur noch 3000 deutsche Fans singen, bei den meisten der 51.000 brasilianischen, von denen viele Neymar-Masken trugen, flossen nur noch die Tränen. Am Ende 7:1. Unfassbar. Ich hatte mit deutscher Hilfe eine Karte für die Mixed-Zone. Ein verzweifelter brasilianischer Kollege, der leer ausgegangen war, bot mir 800 Dollar dafür an. Ich blieb standhaft, hörte daher Johi Löw mahnen: „Ein bisschen Demut tut uns jetzt gut.“ Bevor es nach dem historischen Sieg aus dem Campo Bahia nach Rio ging, legte der Teamchef fest: Alles was bisher erlaubt war, ist bis zum Endspiel verboten. Kein Frauenbesuche mehr, kein Alkohol, keine Interviews. Im Finale wartete im Maracana zum dritten Mal nach 1986 und 1990 wieder Argentinien.

Es war der erste WM-Titel, den Deutschland durch einen Joker in der Verlängerung gewann. Es gab nur ein Tor wie vier Jahre zuvor Das fiel drei Minuten früher als das von Andres Iniesta in Johannesburg zum 1:0 Spaniens über Holland. Durch den nach 88 Minuten für Torjäger Miro Klose eingewechselten Mario Götze, (Bild unten), seit dem zweien Gruppenspiel nur Joker, gegen Brasilien gar nicht im Einsatz: „Ich hatte das Gefühl, dass er zu etwas Besonderem im Stande ist. Weil er als eine Art Wunderkind zu allem fähig ist“ begründete Löw den Schachzug. Noch in der Pause der Verlängerung pushte Löw Götze, als er auf ihn mit erhobenem linken Zeigefinger einredete: „Jetzt zeige der ganzen Welt, dass du besser als Lionel Messi bist, entscheide das Finale.“ Er tat es. Aber die große Figur des  Finales war auch  Schweinsteiger: Er ließ sich auch durch ein Cut unter dem rechten Auge durch eine Ellbogenattacke von Aguero nicht stoppen. Nach dem Spiel seines Lebens vergaß er auch auf einen, der zu dieser Zeit schwere Zeiten mitmachte, nicht, grüßte via TV den im Gefängnis wegen Steuerhinterziehung  einsitzenden Bayern-Präsidenten Uli Hoeneß: „Ohne ihn wären wir nicht hier.“

Mein erster Weltmeister 1974 war 40 Jahre später auch der elfte. Aber beim Feiern gab es gewaltige Unterschiede. Im Maracana kamen Frauen, Kinder, Freundinnen auf dem Rasen. Löw umarmte alle. Kam bei der Pressekonferenz nicht in Verlegenheit, als die erste Frage an den neuen Weltmeister vom Reporter des österreichischen Magazins Ballesterer kam und lautete: „Was sagen sie heute Frank Stronach?“ Nur die wenigsten im Saal wussten, dass der zehn Jahr zuvor als Austria-Boss Löw trotz  Tabellenführung gefeuert hatte. Löw dachte kurz nach, ehe er lächelnd, ruhig und bestimmt meinte: „Ich sage danke. Weil der heutige Jubeltag ansonst vielleicht nicht passiert, ich möglicherweise nicht frei für den Job beim deutschen Team gewesen wäre.“

 

 

Foto: © FIFA (Getty Images).

Meist gelesen

Nach oben