Fußball

Video-k.o. für Deutschland! Auf Fluch der Champions folgte Selbstkritik: „Erbärmlich“

Am 2. Juni fragte ein südkoreanischer Journalist Jogi Löw nach Deutschlands 1:2 gegen Österreich in Klagenfurt bei der  Pressekonferenz, was er von Südkoreas Spielanlage halte. Der Teamchef vertröstete den Fragesteller höflich: „Das beantworte ich ihnen in drei Wochen.“ Dienstag Abend prophezeite Löw in Kasan bereits: „Südkorea ist unangenehmer als Schweden, die Asiaten gehen quasi barfuß durch die Hölle.“ Aber auf eine mögliches Los-Entscheidung angesprochen, reimte er optimistisch: „Wir brauchen kein Los, wir haben Kroos.“ 24 Stunden später war es mit dem Optimismus  vorbei. Im Gegenteil. Jetzt ist Löw nicht nur der Weltmeister-Teamchef, sondern auch der, unter dem Deutschland erstmals bei der WM die Vorrunde nicht überlebte. Blamables 0:2 (0:0) gegen Südkorea, Gruppenletzter hinter den Schweden, die  Mexiko unerwartet 3:0 (0:0) abfertigten, Mexiko und dem krassen Aussenseiter Südkorea. Daher Donnerstag Heimflug nach Frankfurt. Der Fluch der Champions geht bei Weltmeisterschaften geht weiter: Vier der letzten fünf Weltmeister überlebten bei der Titelverteidigung nicht die Vorrunde. 2002 Frankreich in Südkorea, 2010 Italien in Südafrika, 2014 Spanien in Brasilien, jetzt 2018 in Russland Deutschland. Unglaublich. Eine größere Sensation kann es bis zum 15. Juli, dem Finaltag, in Russland nicht mehr geben. Quer durch Europa ergoß sich nach der historischen Pleite im Glutofen von Kasan bei 30 Grad Häme und Spott über den entthronten Weltmeister.

 

Die allgemeine deutsche Verunsicherung sah man schon in der Aufstellung. Fünf Umstellungen nach dem 2:1 gegen Schweden, Thomas Müller überraschend auf der Bank. Neun Veränderungen in drei Partien, vier Jahre zuvor waren es in der ganzen Weltmeisterschaft nur acht. Löw brauchte 20 Spieler, 2014 in Brasilien waren es nur 18.  Deutschland kontrollierte zwar das Geschehen, ohne allerdings gefährlich zu werden, wirkte völlig ideenlos. ZDF-Kommentator Bela Rethy rief vor der Pause einmal entsetzt auf:  „Das ist keine Zeitlupe, das sind reale Bilder.“ Der deutsche Ex-Teamkapitän Oliver Kahn im Mainzer ZDF-Studio: „Es dauert viel zu lange, es geht viel zu langsam mit der Leitung vom Kopf bis zum Fuß.“ In der 50. Minute kam nach Kasan die Kunde vom schwedischen Führungstor gegen Mexiko in  Jekaterinenburg durch Werder Bremens Verteidiger Ludwig Augustinsson. Kurz darauf vergab Timo Werner die zweite große Chance für Deutschland.

Ein Tor war nötig, um die Mega-Blamage zu verhindern. Löw musste das Risiko erhöhen, wechselte hintereinander Mario Gomez, Müller und Julian Brandts ein. Aber mit mehr Offensivspielern ging die Ordnung mehr und mehr verloren. In der 86.Minute hatte Mats Hummels nach einer Flanke von Mesut Özil die Führung auf dem Kopf, traf aber nicht: „Das Tor muss ich machen“, übte er nachher als erster deutschen Spieler vor den TV-Kameras Selbstkritik. Statt der Führung kam in der ersten der insgesamt neun Minuten Nachspielzeit das Video-k.o. für Deutschland. Nach einem Eckball traf Kim Young-Gwon, der in China bei Guangzhou Evergrande spielt. Aber der Linienrichter zeigte Abseits an.  Aus dem Moskauer TV-Keller meldete sich der holländische Videoreferee Danny Makkelie bei Schiedsrichter Mark Geiger, worauf sich der Amerikaner nochmals die Szene am TV-Schirm ansah und dabei bemerkte, dass der Ball von Toni Kroos zum koreanischen Schützen kam. Daher zählte der Treffer. Riesenjubel bei den Südkoreanern, bei denen es für Salzburger-Legionär Hee Chan Hwang  die Höchststrafe gab. In der 56. Minute ausgewechselt, 23 Minuten später wieder ausgetauscht. Ohne verletzt zu wirken.

In der verbleibenden Nachspielzeit vergab Hummels auch die Chance auf den Ausgleich, der nichts mehr gebracht hätte. Als auch noch Torhüter Manuel Neuer mitstürmte und dabei den Ball verlor, fiel das zweite Tor für Südkorea. „Unser WM-Albtraum ist wahr geworden“, titelte „Bild“. Hummels gab zu: „Wir hatten die Chancen, um weiter zu kommen, ließen sie nur ungenützt. Aber unser letztes überzeugendes Spiel war schon im Herbst 2017!“ Kahn hatte in Mainz den Eindruck, dass für jeden Spieler das grüne Teamtrikot offenbar tonnenschwer war. Löw wirkte deprimiert und zerknirscht wie nie: „In der Kabine ist Totenstille, auch in mir ist die riesige Enttäuschung tief drinnen. Wir müssen das annehmen, haben den Aufstieg in dieser Gruppe nicht verdient.“ Punkto Willen und Einsatz machte er der Mannschaft trotz der Blamage  gegen die Asiaten keinen Vorwurf: „Aber vor der Niederlage gegen Mexiko war etwas Selbstherrlichkeit dabei.“ Kapitän Manuel Neuer: „Es war nicht genug Bereitschaft da, erbärmlich. Es stand in keinem Spiele eine deutsche Mannschaft auf dem Rasen, vor der man Respekt haben muss.“

Löw betonte, die Verantwortung für die Blamage  zu übernehmen. Was das für seine Zukunft bedeutet, wollte er aber  kurz nach dem Spiel nicht sagen. Fakt ist: Löw verlängerte bereits vor der Weltmeisterschaft seinen Vertrag bis 2022,  DFB-Präsident Reinhard Grindel gab ihm noch wenige Stunden vor dem 0:2 in Kasan eine Jobgarantie. Sicher ist: Die Kritik in Deutschland wird eine bei Löw noch nie gekannte Schärfe  erreichen. Abwarten, wie er  mit der für ihn ungewohnten Situation nach zwölf Teamchefjahren umgehen kann. Die Frage, ob er bleibt, beantwortete er nicht: „Natürlich muss ich mich hinterfragen und werde das auch tun.“

 

 

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