Fußball

Warum sich Teamkapitän Baumgartlinger wieder zu Wort meldet

In den letzten zwei Jahre war er sozusagen Österreichs Teamkapitän außer Dienst. Eine schwere Zeit, die Julian Baumgartlinger zu bewältigen hatte. Erste Knieoperation im Jänner 2021, vier Monate vor der Europameisterschaft. Er schaffte den Wettlauf gegen die Zeit. Als die Vorbereitung begann, war er dabei. Das erste Gruppenspiel gegen Nordmazedonien war sein 84. und bisher letztes Länderspiel. Auch wenn es nur ein Kurzeinsatz war. Aber er war auch wichtig, nur wenn er dabei war, in der Kabine sein Wort erhob. Man sagte damals, dass Baumgartlinger der einzige Spieler war, dessen Meinung bei Teamchef Franco Foda wirklich zählte. Nach der Europameisterschaft im August kam wieder ein Tiefschlag: Wieder Knieoperation, wieder monatelange Pause. Bald war klar, dass Bayer Leverkusen im Sommer 2022 den Vertrag auslaufen lassen wird. Mitunter gab es bei der Reha keine Fortschritte, ab April war er wieder im Kader dabei, im letzten Heimspiel gehörte er noch einmal zur Startelf. Zur Verabschiedung kam Vorstandschef Rudi Völler, für den in Leverkusen ebenfalls Schuss war, auf den Rasen, bedankte sich für sechs Jahre. mit 152 Spielen.

Im Sommer war Baumgartlinger vereinslos. Da kommen einem schon verschiedene Gedanken, auch vom Ende der Karriere, das er doch selbst bestimmen will.  Die Sommer-Vorbereitung bestritt er quasi im Alleingang, ehe Augsburg im August zugriff, ihn als Neuzugang präsentierte (Bild oben). Weil Sportchef Stefan Reuter nach Verletzungen einiger Stammspieler einen Routinier mit Erfahrung suchte. Der drei Monate später, im November, erstmals seit Jänner 2021 zwei Bundesligaspiele über 90 Minuten bestritt. Gegen Eintracht Frankfurt und Union Berlin. Für Baumgartlinger selbst ein Zeichen, wieder konkurrenzfähig zu sein und sich nach langer Zeit wieder zu Wort zu melden, Interviews nicht mehr abzulehnen. Jetzt während der WM die Vorbereitung mit der Mannschaft und ab Jänner voll angreifen. Im Kampf um den Klassenerhalt. In Augsburg gilt er inzwischen als verlängerter Arm von Trainer Enrico Maasen, eine Art Assistent, egal, ob er spielt oder auf der Bank sitzt.  Am 2. Jänner feiert Baumgartlinger seinen 35. Geburtstag. Es wird dem Salzburger gelingen, selbst zu entscheiden, wann er aufhört.

Auch bei der Teamkarriere? 2009 feierte er in der Ära von Didi Constantini sein Debüt, nach dem Rückzug von Christian Fuchs war er seit September 2016 Kapitän. Der sich nie wegduckte, vor allem nicht in schwierigen Momenten. Immer die Mitspieler nach außen hin verteidigte. Selbst wenn der Präsident in seiner Kritik nicht gerade sachlich blieb. Wie Leo Windtner nach dem 2:4 in Haifa gegen Israel in der EM-Qualifikation. Doch seit eineinhalb Jahren hat er zu seiner Enttäuschung aus Teamkreisen nichts mehr gehört: „Ich wäre immer ansprechbar gewesen!“ Und er hätte auch etwas zu sagen gehabt. Doch das war offenbar nicht mehr gefragt. Abgesehen von Spielern hat sich bis auf eine Ausnahme niemand aus dem Umkreis der Nationalmannschaft gerührt. Weder Team-noch Sportchef. Die Ausnahme war Lars Kornetka, der Assistent von Teamchef Ralf Rangnick. Er kennt Baumgartlinger aus seiner Leverkusen-Zeit. Kornetka teilte Baumgartlinger in einem kurzen Telefonat mit, vorerst werde er auf der Abrufliste stehen.

Dort blieb er immer. Auch, als es Ausfälle gab, blieb er dort, wurde nicht nachnominiert. Darum hat Baumgartlinger ein 85. Länderspiel eher nicht am Horizont. Auf der Abrufliste zu stehen ist für ihn nicht mehr erstrebenswert. Das 2:0 gegen Europameister Italien sah er im TV: „Wirklich stark. Aber solche Glanzlichter, die zeigten, was alles möglich wäre, gab es auch in der Vergangenheit bei Marcel Koller und Foda.“  Aleksandar Dragovic, den Baumgartlinger aus gemeinsamen Zeiten bei Austria und Leverkusen, einem Jahrzehnt als Teamspieler her schätzt, musste zuletzt nicht einmal mehr auf Abruf bereit sein. Der sonst ruhige und sachliche Baumgartlinger kann sich fast in Rage reden, wenn es um Dragovic geht: „Wie er über Nacht abgesägt wurde, das war ganz schlechter Stil. Nach 100 Länderspielen als Rekordteamspieler. Nach einer starken Europameisterschaft. Wenn man sich nicht auf ihn verlassen konnte, war das die Ausnahme der Regel!“

Foto: FC Augsburg.

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