Fußball

Vive la France mit mehr Mineralwasser als Champagner

Frankreich zum zweiten Mal Weltmeister, nach dem 4:2 (2:1) gegen Kroatien im Luschniki-Stadion von Moskau für vier Jahre auf dem Dach der Fußballwelt. Viele sagen verdient, Aber nicht nur die Sympathisanten für den Außenseiter Kroatien werden nach dem irren, verrückten spektakulären Endspiel mit dem ersten Eigentor der WM-Geschichte im 21. Finale, dem ersten Treffer nach Videobeweis, den ersten vier Flitzern während eines Finales auf dem Rasen, den meisten Toren nach 90 Minuten seit Brasiliens 5:2 über Schweden 1958 in Stockholm, daran einen Makel entdecken: Noch nie seit 1990 in Rom griff ein Schiedsrichter so entscheidend in ein Finale ein, brachte eine Mannschaft mit Fehlern so auf die Siegerstraße wie der argentinische Gymnastiklehrer Nestor Pitana.

1990 war es der Mexikaner Edgardo Codesal, der Deutschland den Elfmeter zum 1:0 gegen Argentinien schenkte. Vor vier Jahren  konnte man im Maracana-Stadion von Rio de Janeiro nach Deutschlands 1:0 gegen Argentinien darüber diskutieren, ob der Italiener Nicola Rizzoli bei einem Crash zwischen Deutschlands Keeper Manuel Neuer und Gonzalo Higuain nicht Elfer für die Südamerikaner pfeifen hätte müssen. Aber Sonntag gab es keine Diskussion darüber, dass der vor dem Endspiel mit Lobeshymnen überhäufte Pitana einen akuten Anfall von Sehschwäche hatte, als er auf eine Schwalbe von Antoine Griezmann reinfiel und Freistoss pfiff. Der italienische Videoreferee Massimiliano Irrati durfte nicht eingreifen, da es sich um eine Situation außerhalb des Strafraums handelte.  Das wird sicher diese Auslegung in Sachen Videobeweis in Frage stellen. Zumal aus dem falschen Pfiff das 1:0 fiel. Mandzukic verlängerte Griezmanns Freistoß per Kopf ins eigene Tor. Ivan Perisic schaffte noch den Ausgleich, ehe wieder Pitana  eingriff.


Diesmal machte ihn Irrati darauf aufmerksam, dass Perisic im Strafraum nach einem von Blaise Matuidi mehr verfehlten, als verlängerten Eckball der Ball auf die Hand flog. Perisic sprang hinter Matuidi, hatte keine Zeit zum Reagieren. Pitana sah sich die Szene nochmals in der Video-Ära am TV-Schirm an, gab dann Elfmeter. Im Studio des deutschen ZDF sprach man von einer 50:50-Entscheidung, in Wien am Küniglberg ORF-Videoreferee Thomas Steiner nicht wie so oft von einer Grauzone, sondern von einem Fehler. Analytiker Roman Mählich: „So einen Elfmeter pfeift nur einer, der nie selbst Fußball gespielt hat.“ Griezmann verwandelte, Frankreich konnte damit in der zweiten Hälfte ganz nach ihrem taktischen Plan  den Kroaten die Initiative überlassen, sich auf Defensive und Konter verlassen.

Und das ging auf. Zunächst verhinderten vier Flitzer beim Stand von 2:1 noch einen kroatischen Gegenangriff. Es war die russische Punk-Gruppe Pussy Riot. Ein Zeichen des Protests gegen den auf der Tribüne sitzenden russischen Staatschef Wladimir Putin. Danach kam der französische Doppelschlag in sieben Minuten durch das erste Tor von Paul Pogba bei dieser WM und durch den zum besten Jungstar gewählten Kylian Mbappe. Womit  die Franzosen zum zweiten Mal nach dem Achtelfinale gegen Argentinien vier Tore. erzielten. Mit dem 4:1 war alles gelaufen. Da spielte es keine Rolle mehr, dass sich Keeper Hugo Lloris im  Fünfmeterraum gegen Mario Mandzukic verdribbelte, ihm das 4:2 ermöglichte. Das verteidigte Frankreich souverän. Dennoch muss das Fazit über den neuen Champion heißen: Wenig Champagnerfußball, viel mehr seriöses und solides Mineralwasser.

Die Handschrift ihres Teamchefs, des 49jährigen Basken Didier Deschamps. Schon als Spieler, Kapitän beim Weltmeister 1998 und Europameister 2000 sorgte er für die solide Organisation in der Defensive. Als Teamchef, der nach der EURO 2012 in Südafrika den Job übernahm, agierte er nicht anders. Stellte das Teamwork in den Mittelpunkt, verzichtete daher auf klingende Namen. Baute die Mannschaft nochmals um, als es im EM-Finale 2016 in Paris als Favorit eine 0:1-Niederlage gegen Portugal gab. Deschamps ist eine Ergebnismaschine: Die letzte Niederlage gab es im Juli 2017 in der WM-Qualifikation gegen Schweden. Jetzt ist Mbappe mit 19 der jüngste Torschütze in einem Finale und Weltmeister seit dem berühmten Brasilianer Pele vor 60 Jahren, Deschamps der dritte nach dem Brasilianer Mario Zagalo und Franz Beckenbauer, der sowohl als Spieler wie als Teamchef Weltmeister wurde: Wir haben es verdient, wir haben häufig genug getroffen“, sagteer im ersten Interview. Vive la France mit mehr Mineralwasser als Champagner einen Tag nach dem Nationalfeiertag.

Zum Mann des Finales wurde Griezmann gewählt, zum besten Tormann der WM der Belgier Thibault Courtois. Den Pokal für den besten Spieler des Turniers bekam als kleinen Trost Kroatiens überragender Kapitän Luka Modric, der für ihn aber keiner war, als Lloris um 19.32 Uhr im strömenden Regen von  FIFA-Präsident Gianni Infantino den WM-Pokal überreicht bekam. Das nächste Spiel des neuen Weltmeisters hat es schon wieder in sich: Am 6. September in München im Rahmen der neuen Nations League gegen Vorgänger Deutschland. Da wird ganz Fußball-Deutschland von Jogi Löw und seinen Spielern eine Art Wiedergutmachung für die WM-Pleite fordern, die es natürlich nicht geben kann.

Was blieb von dieser  Weltmeisterschaft mit ihren gesamt 169 Toren? Sicher nichts wirklich Neues, keine Weiterentwicklung. Dass Standards wichtig sind, wusste man schon vorher. Viele sehen den Ballbesitzfußball als überholt an. Im Finale hatte Verlierer Kroatien 61 Prozent Ballbesitz, Weltmeister Frankreich nur 39. Aber man muss auch allen ins Stammbuch schreiben: Ohne Ballbesitz kann man keine Tore erzielen. Einen anderen Aspekt brachte Peter Hyballa, der ehemalige Sturm Graz-Trainer, in seiner Taktikfuchs-Kolumne in der deutschen „Fussball Bild“ ins Gespräch, als er den WM- Fußball als eine Art von Straßenschlacht bezeichnete. Der Kampf sei wieder als entscheidender Faktor zurückgekehrt, sonst hätten es kleine Nationen nicht so weit bringen können. Als bestes Beispiel nannte er Vizeweltmeister Kroatien. Den könnte sich Österreich für die Nations League durchaus als Vorbild nehmen.

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