Fußball

Meine elf Weltmeisterschaften: Als sich Krankl 1982 in Candas verbarrikadierte

Von 1974 bis 2016 war ich bei elf Weltmeisterschaften live dabei, Viele persönliche Erlebnisse sind noch bis heute bei mir gespeichert. Zwei Weltmeisterschaften hintereinander mit Österreich gab´s in diesen 42 Jahren nur 1978 und 1982. Wobei die in Spanien noch um einiges turbulenter verlief als die in Argentinien. Aber mit einer Mannschaft, die objektiv besser war, nicht erfolgreicher. Es begann nach Platz zwei in der Qualifikation hinter Deutschland, der zum WM-Ticket reichte, mit einem Teamchefmord. ÖFB-Präsident Karl Sekanina, inzwischen Bautenminister, versetzte Senekowitsch-Nachfolger Karl Stotz einen Tritt, ohne eine Alternative fix zur Verfügung zu haben. Ein eigentümliches Spiel. Sekanina gab Stotz mit einer Vernichtung vor den Medien im Restaurant „Donaurast“ in Metzling bei Ybbs zum Abschuss frei. Fassungslosigkeit fast allerorts. Sekaninas Wunschkandidat, Startrainer Ernst Happel, kam zu Verhandlungen in die Zentrale der Metallarbeitergewerkschaft in die Wiener Plösselgasse. Er schwebte damals mit dem Hamburger SV auf der Erfolgswelle, erhielt vom HSV-Manager Günter Netzer grünes Licht für den WM-Job in der Heimat, Aber als Österreich in eine Gruppe mit Deutschland, Chile und Algerien kam,  machte der mächtige  Deutsche Fußballbund mit Präsident Hermann Neuberger Druck dagegen, berief sich auf die „Lex Happel“, die es seit 1978 gab. Damals war Happel Trainer des FC Brügge, führte Holland bis ins WM-Finale. Seit damals durfte ein Trainer nur in dem Land, in dem er aktuell für einen Klub arbeitete, auch Teamchef sein. Damit war das Kapitel erledigt.  Sekanina verhandelte mit Senekowitsch, doch da intrigierten die Landespräsidenten, die vier Jahre zuvor in Argentinien zur offiziellen Delegation gehörten, erfolgreich dagegen.

Als sich abzeichnete, dass ein Deutscher, nämlich Ex-Bayern-Trainer Dettmar Cramer österreichischer Teamchef werden sollte, wollte dies Georg Schmidt, der 55jährige Chef der Trainerausbildung, Assistent bei den Teamchefs Edi Frühwirth, Leopold Stastny, Branko Elsner, Senekowitsch und Stotz verhindern. Diesen Posten sollte kein Ausländer bekommen, Das hat ja viel für sich. Also musste er auf Befehl Sekaninas fast wider Willen selbst übernehmen, engagierte den damals bei Admira/Wacker sehr erfolgreichen Felix Latzke als Teamtrainer. Ihre Ära begann mit einem Supermatch, mit dem 3:2 gegen Ungarn im Budapester Nep-Stadion. Die Serie von fünf Siegen zu Beginn der Ära übertraf erst 36 Jahre später Franco Foda.

Bei der Verabschiedung des WM-Teams in Wien jubelten ihm noch 50.000 Fans zu. Aber es gab Probleme. die Verletzungen von Schlüsselspielern wie Bruno Pezzey und Kurt Jara. Sie flogen nach Spanien mit, aber an Jaras Comeback war erst nach den drei Gruppenspielen zu denken, Das Quartier im Fischerort Candas zwischen den Spielorten Oviedo und Gijon hatte noch Stotz ausgesucht: Das Hochhaushotel Marsol. Die Etagen acht und neun standen exklusiv zur Verfügung. Die Frage, wer den verletzten Jara ersetzen sollte, sorgte für großes Kopfweh. Dann folgte der Eklat mit einem gepanten Trainingsspiel in Pola del Siero. Weil am Spielfeld der Rasen viel zu hoch war, in dem zahlreiche Löcher waren,  Friedl Koncilia vor dem Tor Glasscherben fand, sagte Latzke den Test resolut, aber völlig zu Recht ab. Der Bürgermeister tobte, rief die Bevölkerung Asturiens auf, Österreich zu boykottieren. Worauf der Delegationsleiter, Wiens Verbandschef Othmar Luczensky, völlig die Übersicht verlor, Latzke mangelnde Diplomatie vorwarf und sich eine Kreislaufschwäche nahm.  Ehe er einen Canossagang zum Bürgermeister machte, der gar nichts brachte. Ausser einem Gesichtsverlust.

Die Journalisten durften auch im Hotel Marsol wohnen. Ich bekam ein Zimmer im dritten Stockwerk, konnte danach die Behauptungen, das Hotel diene wohlhabenden Spaniern als Wochenendabsteige für amouröse Abenteuer, nachvollziehen. Die Wände rot tapeziert, ein Rundbett mit Spiegeln darüber, das sich per Knopfdruck drehte. In Spanien herrschte damals in Sachen Sicherheit Alarmstufe eins. Die baskische Terrororganisaton ETA hatte im Frühjahr Barcelonas Stürmerstar Quini entführt. Daher stand Hans Krankl als ehemaliger Barcelona-Goleador unter besonderer Beobachtung. Die Stockwerke des Teams waren abgesperrt, in den Etagen patrouillierten die Sicherheitskräfte. Der Lift fuhr hinauf fuhr entweder nur bis zum fünften Stock oder durch bis zum Restaurant im zehnten. Aber dennoch gab´s eines Nachts Alarm um Krankl.

Er wurde aus dem Schlaf gerissen, weil er am Gang eine schrille Stimme hörte: „Hilfe, Hilfe, das bin ja net i,  das bin ja net i“. Krankl kombinierte messerscharf, dass er entführt werden sollte, aber die ETA-Terroristen einen anderen erwischt hatten. Da sein Zimmerpartner Herbert Feurer wenig von Krankls Vorschlag hielt, draußen nachzusehen, was den los sei, verbarrikadierten sich beide im Badezimmer. Als längere Zeit nichts mehr zu hören war, wagte sich Krankl selbst auf Erkundungstour. Wo der Wachtposten hätte sein sollen, war aber keiner. Alarmierend. Auch im Stock darunter kein Wachposten. Das alarmierte ihn noch mehr, Also zurück ins Badezimmer, das die ganze Nacht verbarrikadiert blieb. Bis zum nächsten Morgen. Dann des Rätsels Lösung: Die Aufregung hatte ein Mitspieler, nämlich Max Hagmayr ausgelöst. Der war nämlich Schlafwandler und Schlafschreier. So löste sich die Entführungsangst in Lachen auf, speziell als Hagmayrs Zimmerpartner Klaus Lindenberger, jetzt Tormanntrainer im Team ,erzählte: „Der Max hat mich im Schlaf auch schon gewürgt.“ Als es später einmal um vier Uhr früh an ihrer Tür klopfte, reagierten Krankl und Feurer gelassen. Denn draußen stand Luczensky und sagte: „Bei mir im Zimmer funktioniert die Brause nicht. Kann ich mich bei euch duschen?“ Der Wunsch wurde ihm erfüllt.

Einen Tag vor ihrem ersten WM-Spiel sahen die Österreich in Gijon, wie die Papierform der Gruppe völlig unerwartet  auf den Kopf gefragt gestellt wurde. Europameister Deutschland unterlag Aussenseiter Algerien 1:2, damit war für Österreich gegen Chile verlieren verboten. Walter Schachner erzielte wie 1978 in Argentinien das erste WM-Tor von Österreich, Friedl Koncilia hielt auf dem regenschweren Boden alles, auch einen Elfmeter. Also spielte die von Sekaninas Werbeguru Otto Zwonek, dessen aufdringlich riechendem Rasierwasser sich keiner entziehen konnte, aus Wien eingeflogen Hoch-und Deutschmeisterkapelle auf der Stehplatztribüne nach dem 1:0 sehr beherzt: „Immer wieder, immer wieder Österreich.“

Vier Tage später wartete wieder in Oviedo Deutschland-Bezwinger Algerien. Weil sich Heribert Weber als Ersatz für Kurt Jara nicht bewährt hatte, kam  Ernst Baumeister zum Zug,  Das 0:0 zur Pause war nur Koncilia zu verdanken, der ein 0:2 verhinderte. Also brachte Latzke zur zweiten Hälfte mit Valencia-Legionär Kurt Welzl statt Baumeister einen dritten Stürmer. Von ihm ging die Aktion zu Schachners 1:0 aus, er legte Krankl auch das 2:0 auf. Zwei Tore in zwölf Minuten brachten Österreich auf Aufstiegskurs. Supergoalie Koncilia erhielt danach in Candas von „Bild am Sonntag“ Besuch in Person von Michael Jeannee, dem heutigen „Krone“-Postler. Der zitierte Friedl mit Worten, die er nie so gesagt hatte: „Wenn wir schon fix qualifiziert sind, werde ich,falls es darauf ankommt, den Deutschen helfen, Zweiter hinter uns zu werden.“ Starker Tobak. Koncilia bekam einen Wutanfall, der prolongiert wurde als die Algerier das falsche Gerücht lancierten, Koncilia und Krankl seien beim 2:0 gedopt gewesen. Kocnilia schrie empört von gelenkten Aktionen: „Wenn ich einmal Doping brauch, höre ich sofort auf.“

Algerien feierte mit 3:2 gegen Chile seinen zweien Sieg, setzte damit Österreich und Deutschland vor dem Duell in Gijon unter Druck. Aus der Konstellation entwickelte sich ein Schandspiel. Nach elf Minuten führe Deutschland 1:0, wirbelte die wie paralysiert wirkenden Österreicher schlimm durcheinander. Als der erste Konter über Schachner für Gefahr sorgte, regierte beim Europameister die Vorsicht. Beide stellten das Spielen ein,weil das 1:0 beiden zum Aufstieg reichte Nur Schachner und sein Bewacher Hans Peter Briegel lieferten sich erbitterte Duelle. Die Fans reagierten mit Pfeifkonzerten, schwenkten weiße Fahnen, was in Stierkampfarenen dem Ausdruck tiefsten Mißfallens gleichkommt. Die aus Algerien hielten Geldscheine in die Höhe. Noch heute versichern Spieler beide Mannschaften: Keine Absprache, es hat sich nur so ergeben. Aber damals war die Stimmung total vergiftet. Latzke fauchte fragende Journalisten an: „Sollen wir über den Aufstieg weinen, wäre es vielleicht besser gewesen, ehrenvoll auszuscheiden?“ Der neue ÖFB-Pressechef hatte alle Hände voll zu tun. Sein Name: Alfred „Gigi“ Ludwig, später erfolgreicher Generalsekretär, zuvor Lehrer und Mitarbeiter der „Krone“. In der Zeit entwickelte sich ein guter Kontakt. Den gibt es noch heute als Pensionisten.

Es ging weiter zur Zwischenrunde in Madrid. Gewohnt wurde 40 Kilometer außerhalb, im „Parador Segovia“, einer herrlichen Hotelanlage. Auch die Journalisten kamen mit. Bemerkten eine aufreibende Suchaktion nach der Badehose von Feurer, die vom  Zimmerbalkon irgendwohin gefallen war. Das Wasser im Swimming Pool der herrlichen Hotelanlage hatte nur 17 Grad,  Die Wiese rundherum wurde zum Zentrum des Schmäh´s und Lacherfolgs. Eine Spielerrrunde beschloss, Delegationschef Luczensky ins kalte Wasser zu schmeißen. Herbert Prohaska machte aus Angst, der Wiener Verbandschef tauche dann nicht mehr auf, dabei nicht mit. Die anderen schritten zur Tat, trugen Luczensky unter „Hoch ruck.Rufen“ zum kalten Wasser. Als die Wasserung knapp bevorstand, schrie Teamarzt Ossi Schwinger völlig verzweifelt: „Na, tut´s das ja nicht, der hat schon einen Herzschrittmacher.“ Zu spät. Alle Übeltäter sprangen nach, um eine sofortige Rettungsaktion einzuleiten, Die war zum Glück nicht notwendig.

Unter ging das Team im Vincente Calderon-Stadion von Madrid. 0:1 gegen  Frankreich mit Michel Platini,Alain Giresse, Jean Tigana trotz  45 Minuten-Comeback von Jara. Danach rief Sekanina aus Wien an, forderte von Schmidt und Latzke die Köpfe der Stars. Die kamen der Aufforderung nach, Gravierende Umstellungen gegen Nordirland. Half auch nichts. 2:2 nach 2:1-Führung. Bruno Pezzey erzielte bei 43 Grad Hitze mit der Ferse das 1:1, konnte aber das 2:2 von Hamilton (Bild unten) nicht verhindern. Damit keine Chance auf das Semifinale und Rücktritt von  Erich Obermayer als  Teamkapitän:“Die Mannschaft hört nicht mehr auf mich“ In der Heimat kam es zu „Terroraktionen“. Familienangehörige der Spieler wurden auf den Straßen beschimpft, am Auto von Latzke gab´s unübersehbare Kratzspuren. Am Tag nach dem Ausscheiden bereits der Heimflug, dazu Sekaninas Abrechnungen, die sich wie so oft nur als medialer Paukenschlag erwiesen, Ich blieb bis zum WM-Ende in Spanien, sah in Sevilla Deutschlands hochdramatisches Semifinale gegen Frankreich mit Sieg im Elferschießen nach 1:3-Rückstand im Nachspiel samt Brutaloattacke von Tormann Toni Schumacher an Gerard Battiston, bekam bis zum Finale im Madrider Flughafenhotel Barajas am Swimming Pool von den deutschen Finalisten wie Paul Breitner oder Hansi Müller eher Interviews als ihre Landsleute. Aber im Endspiel gab es nichts zu holen. Italien  zuvor 2:1-Sieger über Titelverteidiger Argentinien mit dem jungen Diego Maradona, und 3:2-Sieger gegen Brasilien, bezwang Deutschland im Bernabeu-Stadion  3:1. Deutsche Urlauber in Italien hörten danach wochenlang das Stakkato der Tifosi: „Rossi, Tardelli e Altobelli“. Die Torschützen im Finale.

 

 

 

 

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