Fußball

Vom Prater bis nach Boston: Meine Erlebnisse mit Diego Maradona

Diego Maradona. Rebell, Held, Gott. So heißt der Film über den heute 58jährigen Argentinier, der Dienstag Abend im selbstverständlich „ausverkauften“ Wiener Votivpark-Kino seine Österreich-Premiere hatte. Man könne auch noch Genie und Gauner hinzufügen. Genie und fast Gottheit am grünen Rasen, im wahren Leben aber bald im Abseits. Der Film ist selbstverständlich für alle Maradona-Fans ein absolutes Muss. Prädikat sehr sehenswert, Weil er perfekt eine der genialsten und bizarrsten Figuren der Fußballszene ausleuchtet. Aus über 500 Stunden unveröffentlichtem Filmmaterial aus Maradonas persönlichem Archiv schaffte Regisseur Asif Kapadia ein persönliches Portät über die „Hand Gottes“. 1984 war es, als Maradona vom FC Barcelona, mit der nur einmal die Copa del Rey gewann, für die damalige Rekord-Ablöse von umgerechnet 12 Millionen Euro, heutzutage ein Schnäppchen, in die bitterarme Hafenstadt Napoli wechselte. Der meist gefeierte Spieler der Welt und die hitzige, gefährliche Stadt schienen sich perfekt zu ergänzen. Sieben Jahre blieb er. Weltmeister wurde er 1986 mit Argentinien, 1987 und 1989 Meister mit Napoli, zudem UEFA-Cup-Sieger.  Er machte aus einem Mittelklasseklub eine Fußballmacht. Kapadia beleuchtet Maradona, ohne ihn zu bewerten. Man sieht Bilder aus den ärmlichen Verhältnissen, in denen er am Stadtrand von Buenos Aires aufwuch, von seiner Präsentation vor 85.000 Zuscahauern im Estadio San Paolo von Neapel, von der ersten Pressekonferenz, als er gleich gefragt wurde, ob er wisse, über Gelder der Mafia, der Camorra, finanziert worden zu sein. Bilder mit seiner großen Jugendliebe Claudia Villafane,  die er aber doch betrog. Indem er in Neapel ein uneheliches Kind mit Cristiana Sinagra, der italienischen Freundin seiner Schwester, zeugte.

Der Film konzentriert sich auf die Zeit in Neapel. Als er zerrissen war zwischen Diego, dem Jungen aus armem Hause und Maradona, dem Superstar. Der alle Höhen und Tiefen erlebte. Mafia, uneheliches Kind, Prostituierte, wilde Partys, Abhängigkeit von Kokain. Das hatte schon in Barcelona begonnen. Am beklemmendsten sind die Szenen aus Buenos Aires, wie er 1991 nach seiner Rückkehr in die argentinische Hauptstadt, im Drogenrausch verhaftet wurde. .

Mich erinnerte der Film an 14 Jahre, in denen ich den genialen Fußballer Maradona live sah. Erstmals am 21. Mai 1980 im Wiener Praterstadion, zum letzten Mal am 25.Juni 1994 im Foxboro-Stadium von Boston. Die Stationen dazwischen: Nou Camp in Barcelona, Azteken-Stadion von Mexiko City, Neapel und das  Olympiastadion von Rom. Spiele, die nicht zu vergessen sind. Der Beginn 1980 gegen Österreichs Team. Weltmeister Argentinien zum Abschiedsspiel des langjährigen, verdienten Teamkapitäns Robert Sara zu Gast. Mit dem damals 19jährigen Jungstar Maradona, der es Teamchef Cesar Luis Menotti nie verzeihen konnte, ihn nicht schon mit 17 beim WM-Triumph im eigenen Land aufgeboten zu haben. Österreichs damaliger Teamchef Karl Stotz hatte die Idee,  noch offensiver als die Argentinier zu agieren. Mit Mittelfeldspieler Roland Hattenberger als Innenverteidiger, Mittelfeldspieler Reinhold Hintermaier als linken Verteidiger. Davor im Mittelfeld mit Herbert Prohaska, Willi Kreuz und Kurt Jara nur Offensivspieler, dazu mit Kurt Welzl, Hans Krankl (damals bei Vienna) und Walter Schachner drei Spitzen. Nach 15 Minuten führte Argentinien 3:0, das dritte Tor ging auf Maradonas Konto. Nach 29 Minuten opferte Stotz einen Stürmer, brachte mit Heribert Weber einen Defensivspieler. Endstand 1:5, Maradona bezwang Friedl Koncilia insgesamt dreimal. Das Genie blitzte auf.

Weiger im März 1983 im Viertelfinale des Europacups der Cupsieger zwischen FC Barcelona und der Wiener Austria. Im Prater fehlte er beim 0:0, im Nou Camp feierte er sein Comeback nach einem Knöchelbruch. Erstmals sass Menotti auf Barcelonas Trainerbank. Das lockte nur 40.000 Zuschauer an. Niemand gab der Austria unter dem schon verstorbenen Trainer Vaclav Halama eine Chance, aber sie stieg mit einem 1:1 dank Gerhard Steinkoglers Auswärtstor auf. Gegen Maradona. Unglaublich. In die Siegesfreude mischten sich spöttische Tone über Diego. Für Koncilia, Sara und Erich Obermayer war es mehr als eine Revanche für das 1:5 zwei Jahre zuvor.

Das nächste Wiedersehen mit Maradona: Vier Jahre nach seiner ersten WM in Spanien, die gemeinsam mit dem großen WM-Held von 1978, dem letzte Woche in Wien bei der Vienna zu Gast gewesenen Mario Kempes, bereits in der Zwischenrunde endete, für Maradona mit einer roten Karte beim 1:2 gegen Brasilien im Stadion von Espanyol Barcelona, die WM 1986 in Mexiko. Seine vielleicht größte Zeit. In der Journalisten noch viel leichter an die Superstars herankamen als heutzutage. Ich sah schon die drei Maradona-Assists zum 3:1 gegen Südkorea, das Tor zum 1:1 gegen den regierenden Wetmeister Italien. Und dann die großen Auftritt vor 114.000 Zuschauer im Azteken-Stadion. Zwei Tore zum 2:1 im Viertelfinale gegen England, wenn auch das erste mit der Hand gegen Englands Keeper Peter Shilton. Das zweite mit einem unnachahmlichen Solo aus der eigenen Hälfte. Im Kabinengang kam nachher auf die Frage nach dem ersten Tor die legendäre Antwort von der Hand Gottes, die es war. Vor dem Semifinale gegen Belgien sagte der belgische Keeper, Bayern München-Tormann Jean Marie Pfaff, zu den zwei österreichischen Journalisten,die ihn im Mannschafsthotel besuchten: „Maraadona schießt mir kein Tor!“ Es wurden zwei, Argentinien stieg mit 2:0 ins Finale gegen Deutschland auf. „Kaiser Franz“ Beckenbauer stellte als deutscher Teamchef Lothar Matthäus als „Wachhund“ für Maradona ab. Sie neutralisierten sich fast. Diegos Genieblitz, kam, als Deutschland ein 0:2 im Finish unerwartet in ein 2:2 verwandelt hatte. Ein Pass Maradonas in die Gasse öffnete Jorge Burruchaga den Weg zum 3:2. Maradona bekam als Kapitän den WM-Pokal, wollte ihn gar nicht mehr aus der Hand geben. Sie feierten stundenlang in der  Kabine.

Vier Jahre später WM in Italien. Ein Monat davor gastierte Maradona am 3. Mai 1990 mit Argentinien wieder im Wiener Prater. WM-Test gegen Österreich, diesmal ohne  Maradona-Tor. Der kompromisslose Gegenspieler Robert Pecl taugte ihm gar nicht. Nach dem 1:1 (1:1) genoss Maradona das Wiener Nachtleben.  Ganz Italien wollte ab Juni die Squadra Azzura  zum WM-Titel pushen. Im Maradona-Film ist das italienische Tor im Eröffnungsspiel zum 1:0 gegen Österreich aus dem Olympiastadion in Rom zu sehen. Und wenig später auch ein ehemaliger Tormann des FC Tirol: Tomislav Ivkovic, wie er im Viertelfinale zwischen Jugoslawien und Argentinien von Florenz nach einem 0:0 im Elferschießen den von Maradona hielt. Der konnte es nicht fassen. Nach Maradona traf Dejan Savicevic neun Jahre bevor er den Rapid-Dress anzog, zum 2:2. Die zwei anderen Jugoslawe vergaben zum Entsetzen ihres Teamchefs, des späteren Sturm Graz-Meistertrainers Ivica Osim. Argentinien stieg mit 5:3 auf. Ins Semifinale gegen Italien. Ausgerechnet im Wohnzimmer von Maradona, im San Paolo. Vor 60.000 Zuschauern. Maradona heizte die Stimmung mit dem Spruch „Neapel ist nicht Italien“ an. Und als Argentinien nach einem 1:1 wieder im Elfmeterschießen aufstieg, ins Finale kam, weil Maradona den vierten Elfmeter  für Argentinien in einem Pfeifkonzert zum 4:3 verwandelte, Aldo Serena danach aber vergab, war ich wegen der feindseligen Stimmung froh, irgendwie aus dem Stadion zu kommen. Das Land Italien brach mit einem Idol. Das hörte man schon drei Tage später beim Finale gegen Deutschland, der Revanche für 1986, in Rom. Die italienischen Zuschauer pfiffen die argentinische Hymne nieder. Es waren Pfiffe gegen den plötzlich verhassten Maradona. Die TV-Kameras fingen ein, wie er noch während der Hymne auf die Italiener schimpfte. Die 0:1-Niederlage in einem ganz schwachen Endspiel waren ein Klacks gegen das, was für Maradona folgte: Bewährungsstrafe wegen Drogenbesitzes, nach einem positiven  Dopingtest nach dem Match Napoli-Bari floh er nach Argentinien: „Als ich kam, begrüßten mich 85.000 Menschen. Als ich ging, war ich allein“, sagt Maradona am Ende des Films aus dem Off. Bei Napoli, bald Gegner in der Champions League von Red Bull Salzburg, wurde seither Maradonas Rückennummer 10 nicht mehr vergeben.

Die trug er erneut bei der WM 1994 fürArgentinien. Es hieß, er sei nach dem Entzug in einer Klinik wieder clean. Am 25.Juni 1994  sass ich an einem Regentag im Foxboro-Stadion in Boston. Damals nicht wissend, Augenzeuge des letzten WM-Spiels des 34jährigen Maradona zu sein. Argentinien schlug Nigeria 2:1, Maradona legte das Siegestor von Claudio Caniggia auf. Am auffälligsten bei ihm waren nachher irre Gesten für die TV-Kameras.  Zwei Tage später kam die Meldung von einem positiven Dopingtest. Alles vorbei. Argentinien verlor ohne Maradona das letzte Gruppenspiel gegen Bulgarien mit dem späteren Rapid-Abwehrchef Trifon Ivanov, scheiterte im Achtelfinale an Rumänien.

Was mir danach von Maradona noch in Erinnerung blieb,  waren bizarre WM-Auftritte. 2006 in Deutschland als Argentinien-Fan von der Tribüne, vier Jahre später in Südafrika als Teamchef, der im Viertelfinale an Deutschland mit 0:4 brutal scheiterte. Die vom letzten Jahr in Russland als Zuschauer sah ich nur am TV-Schirm. Die Erinnerung an den Maradona von 1986 wird immer die schönste bleiben.

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