Fußball

Dramatik pur: Nur zehn Minuten fehlten zu Löws blamablem Ende

Ganz Deutschland hatte Mittwoch nur ein Thema: Den Ärger über die UEFA, weil sie die Münchener Allianz-Arena nicht wie von der Stadt gewünscht, in Regenbogenfarben anstrahlen ließ, da dies einen Protest gegen ein erst vor kurzem beschlossenen ungarisches Gesetz in Zusammenhang mit Homophobie bedeutet hätte. Der Fußball verkam zur Nebensache. Keiner konnte sich vorstellen, dass am Abend gegen Ungarn etwas passieren könnte, der  Aufstieg in Gefahr kommen könnte. Doch das passierte. Am Ende fehlten zum blamablen Ende der Ära von Teamchef Jogi Löw nur zehn Minuten. Der Abend war Dramatik pur, an Spannung im Münchener Regen kaum zu überbieten:

Um 21.11 Uhr war Deutschland Gruppenletzter und nicht im Achtelfinale. Denn Ungarn ging in München durch Mainz-Legionär Adam Szalai in Führung. Er stand bei einer Flanke zwischen Deutschlands Innenverteidigern Mats Hummels und Matthias Ginter, bezwang per Kopf Manuel Neuer. In Budapest ging Europameister Portugal gegen Weltmeister Frankreich durch einen von Cristiano Ronaldo verwandelten Elfmeter in Führung, glichen die Franzosen durch einen Elfmeter von Karim Benzema aus. Der ein Geschenk des spanischen Schiedsrichters Antonio Mateu Lahoz und des Videoreferees, der nicht eingriff, ausnützte, Deutschland fiel gegen die massierte ungarische Abwehr mit dem aufopfernd kämpfenden Ex-Rapidler Attila Szalai wenig ein. Was durchkam, hielt Leipzig-Tormann Peter Gulacsi.

Um 22.10 Uhr war Deutschland trotz 0:1 plötzlich aufgestiegen. Weil Benzema Frankreich in Führung brachte. Damit wäre der Titelverteidiger ausgeschieden.

Um 22.22 warf Ronaldo mit dem zweiten verwandelten Elfmeter Deutschland, seinem 14. EM-Tor, seinem 109. für Portugal, wieder aus dem Turnier.

Um 22.26 rettete Gulacsi mit einem schlimmen Patzer, seinem ersten in der Europameisterschaft, vorerst Deutschland. Kai Havertz glich aus. Damit war Deutschland Zweier hinter Frankreich.

Um 22.28 Uhr herrschte bei Löw und auf der deutschen Bank wieder blankes Entsetzen: Vom Anstoß weg ging Ungarn wieder in Führung.  Joker Szabolcs Schön, Legionär beim FC Dallas, traf vom Anpfiff weg nach Assist von Adam Szalai.

Um 22.43 Uhr ging ein Jubelschrei durch Deutschland: Joker Leon Goretzka gelang das 2:2. Goretzka war von Löw nach 58 Minuten von Löw für Ilkay Gündogan eingewechselt worden. Nach dem Ausgleich zum 1:1 mussten Torschütze Havertz und Serge Gnabry unter, da kamen Thomas Müller trotz Knieverletzung und Timo Werner. Nach 82 Minuten nützte Löw das dritte Tauschfenster, er brachte für Ginter und Linksverteidiger Robin Goosens, der anders als gegen Portugal gar nicht zur Geltung kam, mit Kevin Volland und dem 18 jährigen Jamal Musiala zwei Offensivkräfte seine letzten Hoffnungen, ging damit volles Risiko. Musiala, Deutschlands  jüngster EM-Spieler aller Zeiten, leitete zwei Minuten später die Aktion zum Ausgleich ein. In der Nachspielzeit lief Deutschland bei einem Konter mit drei Mann in Richtung Ungarns Tor, ein Fehlpass von Leroy Sane zerstörte die Chance auf das 3:2 und den Gruppensieg. Dann wäre die Schweiz im Achtelfinale der Gegner gewesen und nicht England in Wembley.

Dramatisch verlief davor auch die Entscheidung in der Spanien-Gruppe: Spanien verschoss in Sevilla gegen die Slowakei bei 0:0 bereits seinen zweiten Elfmeter (diesmal durch Alavaro Morata), gewann dann aber erstmals mit  Kapitän Sergio Busquets nach dessen Corona-Erkrankung 5:0 (2:0). Den Untergang der Slowaken leitete ein kurioses Eigentor von Keeper Martin Dubravka ein, der sich nach einem Lattenschuss den Ball mit der rechten Hand selbst ins Tor schlug.  Der Kantersieg reichte nicht zu Platz eins, da Schweden in St. Petersburg Polens in letzter Minute 3:2 (1:0) bezwang, Als Schweden nach 59 Minuten durch zwei Tore von Emil Forsberg 2:0 führte, schien alles gelaufen. Aber dann schlug Robert Lewandowski, der vor  der Pause in einer Aktion zweimal an die Latte köpfte, mit zwei Toren zurück. Nach 84 Minuten stand es 2:2, in der letzten Minute sorgte aber der für Forsberg eingewechselte Krasnodar-Legionär Victor Claeson für das 3:2 und den Gruppensieg.

Das Achtelfinale beginnt Samstag mit Wales-Dänemark in Amsterdam, geht mit Italien-Österreich in Wembley weiter. Sonntag trifft  Holland in Budapest auf Tschechien,  Belgien in Sevilla auf Portugal. Wie beim Titelgewinn 2016 stiegen die Portugiesen wieder als Gruppendritter auf.  Montag gilt Frankreich in Bukarest gegen die Schweiz als Favorit, auch wenn Teamchef Didier Deschamps  dies gar nicht so sah. Schweden ist in Glasgow gegen die Ukraine der Aufstieg ins Viertelfinale zuzutrauen. Am Dienstag heißt es Kroatien gegen Spanien in Kopenhagen, der Sieger aus dieser Partie trifft im Viertelfinale in München auf den Sieger aus Italien-Österreich. Das letzte Achtelfinale in Wembley könnte der Höhepunkt werden: England-Deutschland ist wie ein vorgezogenes Endspiel. 40.000 Zuschauer dürfen ins Wembley-Stadion von dem Deutschlands Kapitän Neuer nach der verhinderten Blamage gegen Ungarn behauptete: „Das liegt uns!“

 

 

 

 

 

Foto: UEFA.

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