Ausgerechnet am 113. Geburtstag von Sturm Graz verstarb der Jahrhunderttrainer der „Blackies“, Ivica Osim. Fünf Tage vor seinem 81. Geburtstag. Mit seinem Namen sind Erinnerungen an die erfolgreichste Zeit in der Sturm-Klubgeschichte. Zweimal Meister, dreimal Pokalsieger, dreimal in der Champions League, einmal sogar in der Zwischenrunde. Mit Spielern wie Österreichs Ex-Teamchef Franco Foda, Darko Milanic, Ranko Popovic, Markus Schupp, Markus Schopp, Günter Neukirchner, Gilbert Prilasnig, Hannes Reinmayr, Roman Mählich, Ivica Vastic, Mario Haas und Tomislav Kocijan. Sie alle schätzten ihn nicht nur als Trainer, sondern als Mensch. Osim formte unter anderem das magische Dreieck mit Vastic, Reinmayr und Haas.
Das letzte Mal sah ich Osim im letzten Oktober anlässlich der Feier zum 70. Geburtstag von Ex-Sturm-Präsident Hannes Kartnig. Zu der er gestützt auf Kocijan in Begleitung seiner Frau Asima kam. Vom Schlaganfall, erlitten vor 15 Jahren in seiner Zeit als Teamchef Japans, erholte er sich nie mehr ganz. Geistig war er voll auf der Höhe. Bei der Begrüßung fragte er: „Was gibt´s in Wien?“ Kartnig behauptete in seiner Rede, Osim habe aus ihm einen besseren Menschen gemacht, ihm Bescheidenheit gelernt. Unvergesslich, wie in Osims Zeit Kartnig einen supermodernen, in Spanien gekauften Mannschaftsbus mit viel Tam-Tam präsentierte. Osim erwidert darauf nur knapp und in seiner bekannt trockenen Art: „Aber der Bus spielt nicht Fußball“.
Als Aktiver galt Osim als begnadeter Techniker. In seiner Heimatstadt Sarajevo war er der herausragende Spieler von Zelejnicar, wurde wegen seiner langen wehenden blonden Haare „Svabo“ genannt. Er glänzte auch als Legionär in Frankreich. Persönlich lernte ich Osim erstmals vor 32 Jahren am 29. Oktober 1990 in Belgrad kennen. Als Teamchef von Jugoslawien. Vier Monate zuvor er war er in Florenz mit seiner Mannschaft bei der WM im Viertelfinale am damals regierenden Weltmeister Argentinien mit Diego Maradona erst im Elfmeterschießen gescheitert. Damals ging es um die Qualifikation für die Europameisterschaft 1992. Es gab erste Anzeichen vom bevorstehenden Bürgerkrieg, Osim wollte mit österreichischen Journalisten nur in den Katakomben des Marakana-Stadions reden, wo ihn niemand sonst sehen und hören konnte. Sprach davon, dass er schwere Zeiten auf sein Land zukommen sehe und sich vor ihnen fürchte. Jugoslawien schlug Österreich 4:1. Damals spielten noch Serben wie Torjäger Darko Pancev oder der späte Milan-Star und Rapid-Legionär Dejan Savicevic sowie Kroaten wie Robert Prosinecki. 13 Monate später fehlten beim Retourspiel in Wien bereits die Kroaten. Weshalb in Wien lebende Kroaten bei der Ankunft der Mannschaft am Flughafen Schwechat Osim Vorwürfe machten. Er reagierte mit bösen Blicken, wirkte in den Diskussionen mit ihnen wütend.
Jugoslawien qualifizierte sich souverän für die Europameisterschaft, galt als einer der Favoriten, durfte aber wegen des Bürgerkriegs nicht teilnehmen. „Ersatz“ Dänemark wurde Europameister. Osim trat im Frühjahr 1992 zurück, weil Bomben auf Sarajevo flogen: „Das letzte, was ich für meine Heimat tun konnte“, sagte er unter Tränen. Zwei Jahre später war Osim nach einem Kapitel bei Panathinaikos Athen Trainer bei Sturm. Möglich machte dies der damalige Manager der Grazer, Heinz Schilcher, der von 1976 bis 1978 in Straßburg mit Osim gespielt hatte. Osim machte Graz zur Fußballhauptstadt Österreichs, im Herbst 2000 feierte die deutsche „Bild“-Zeitung Sturm als die Überraschung der Champions League. „Schwer ist“, war damals eine typische Antwort von Osim auf viele Fragen. Mitunter konnte Kartnigs mit Osims zurückhaltender Art schwer leben wie umgekehrt Osim mit Kartnigs Hang zur lauten Show, poltender Art noch viel mehr. 2002 kam es zur Trennung, aber sie respektieren sich trotzdem. Sonst wäre Osim nicht zu Kartnigs legendärem Sommerfesten gekommen.
Nach der Trennung von Sturm war Osim bei der WM in Japan und Südkorea in der technischen Kommission der FIFA, die alle Spiele analysierte. Mir unvergesslich, was er sagte, als wir uns im Sapporo Dome wenige Minuten vor dem Schlager zwischen Argentinien und England begegneten: „Schön, dass Pepi wieder einen Verein gefunden hat!“ Er meinte Tormann Pepi Schicklgruber, der bei Sturm keinen Vertrag bekam, danach von Pasching engagiert wurde. Japan blieb danach auch die sportliche Heimat von Osim. Im September 2007 kam er als Teamchef von Japan zur Eröffnung des Wörthersee-Stadions nach Klagenfurt. Tore fielen erst im Elfmeterschießen, das Österreich 4:3 gewann. Wochen später erlitt er den Schlaganfall. Auf die Trainerbank konnte er danach nicht mehr zurückkehren, aber Fußball blieb bis zuletzt, das, was ihm am meisten interessierte. Er lebte abwechselnd in Graz und Sarajevo. Sturm-Präsident Christian Jauk: „Osim war nicht nur im Sport eine Persönlichkeit, sondern weit darüber hinaus!“
Foto: Sarajevo Times.