Wer hätte am 11. Oktober 2008 in Torshavn gedacht, dass der 19 jährige Spieler, den Teamchef Karel Brückner neun Minuten vor Schluss bei Österreichs 1:1 gegen die Färöer statt Marc Janko einwechselte, 14 Jahre später Österreichs Rekordspieler wird? Vielleicht glaubte Marko Arnautovic selbst daran. Denn er hat immer Selbstvertrauen, wie er Dienstag, zwei Tage vor seinem 103. Länderspiel gegen Weltmeister Frankreich in Paris versicherte. Mit dem er die Rekordmarke jenes Manns einstellt, der ihn damals Brückner empfohlen hatte, nämlich die von Andreas Herzog. Er war 2008 Asisstent von Brückner, zugleich U 21-Teamchef. Zwei Jahre später prophezeite Herzog, dass Arnautovic der beste Fussballer werden könnte, den Österreich je hatte, wenn er sein Potenzial voll abruft. Sonntag wird Arnautovic mit 104 Länderspielen alleiniger Rekordhalter sein, wenn er auch gegen Vizeweltmeister Kroatien in Wien spielt. Ende November könnte er schon bei 106 Einsätzen im Teamdress stehen, wenn er nach einem Trainingslager in Spanien auch gegen Andorra in Malaga sowie am 20. November, einen Tag nach der Eröffnung der Weltmeisterschaft in Katar, im Happel-Stadion gegen Europameister Italien zum Einsatz kommt. Bei der Revanche für die unglückliche 1:2-Niederlage gegen die Italiener im Achtelfinale der Europameisterschaft im Juni 2021,als das vermeintliche Führungstor von Arnautovic im Wembley-Stadion nach einer VAR-Entscheidung nicht zählte. Weil er beim Kopfball mit einem Fuß im Abseits stand.
Somit sind es derzeit 33 Tore von ihm in 102 Länderspielen, zu denen er als Legionär von sieben Klubs kam. Beim Debüt war er bei Twente Enschede in Holland, dann kam Inter Mailand, dann Werder Bremen, Stoke, West Ham, das China-Kapitel in Shanghai und jetzt Bologna. Das 103. Länderspiel wird das erste sein, das er als Führender der Torschützenliste der Serie A bestreitet, der schlanker wirkt als in früheren Jahren, als zweifacher Familienvater auch ruhiger und abgeklärter als in seiner wilden Zeit. In denen es am 29. März 2011 in seinem elften Länderspiel auch zu dem Vorfall kam, den er als Tiefpunkt seiner Teamkarriere sieht: Nach dem 0:2 in der EM-Qualifikation gegen die Türkei in Istanbul machte er in der Kabine Stefan Maierhofer heftigste Vorwürfe, weil der einen Elfmeter vergab, den Arnautovic schießen wollte, was Maierhofer nicht zuließ. Fast wäre es zu einer Schlägerei gekommen, die der damalige Tormann Jürgen Macho durch entschlossenes Dazwischengehen verhinderte. Den Heimflug nach Wien trat Arnautovic in Begleitung einer Bauchtänzerin an. Der Teamchef, inzwischen Didi Constantini statt Brückner, verzichteten in den nächsten drei Spielen auf Arnautovic, im September war er wieder dabei, erzielte beim 2:6 in Gelsenkirchen gegen Deutschland ein Tor: „Sie haben bald bemerkt, dass ich hinauf gehöre!“, erinnert er sich mit etwas Genugtuung.
Heute sagt Herzog zum Thema Arnautvoic, dass jetzt auch der Dümmste kapieren müsste, was er damals meinte. Hat Arnautovic sein unbestritten großes Potenzial wirklich voll abgerufen? Eher nicht. Dass er seinen Förderer Herzog übertraf, ist auch der Tatsache geschuldet, dass es jetzt mehr Länderspiele pro Jahr gibt als zu Herzogs aktiven Zeiten. Und dass manchmal bei Arnautovic viele Augen zugedrückt werden. Als er es vor vier Jahren nach dem 0:1 gegen Bosnien in Zenica für angebracht hielt, in Sarajevo einen netten Abend mit Bosniens Kapitän und Torschützen Edin Dzeko zu verbringen. Sozusagen eine Art „Captains-Dinner“, denn Arnautovic war in dem Spiel Österreichs Kapitän. Oder als er sich darauf verlegte, für Gin und Wodka Werbung zu machen. Normal bei Spitzensportlern ein No-Go, nicht für Arnautovic.
Die Qualifikation für die EM 2016, in der kein Match verloren ging, sieht er als Highlight seiner 14 Jahre im Team. Sein erstes WM-Ticket würde er dem Rekord nur liebend gerne folgen lassen, aber ist selbst skeptisch, ob er das noch erleben wird. Denn 2026 wird er 37 Jahre alt sein. Er weiß auch, dass seine Zeit als Rekordspieler irgendwann abgelaufen sein wird, denn sein Freund David Alaba ist drei Jahre jünger und hält bei 94 Länderspielen. Aber die Gedanken zielen jetzt darauf hin, sein Rekordspiel, in dem er seinen Ruf, ein Unterschiedsspieler zu sein, der immer den Ballhaben will, unterstreichen möchte, nicht zu verlieren. Die Ausfälle bei Frankreich ignoriert er, weil der Weltmeister mehr als nur einen Stammelf habe, vielleicht sogar zwei, drei: „Wir müssen uns in erster Linie überlegen, was wir machen, brauchen uns nicht zu verstecken. Unschlagbar sind die Franzosen nicht, das haben wir schon beim 1:1 in Wien gezeigt!“
Die Franzosen müssen nicht nur mit Ausfällen leben, sondern auch mit einem „Luxus-Zoff“ um ihren Topstar Kylian Mbappe. Er verweigerte die Teilnahme an einem Foto-Shooting für die 14 Teamsponsoren. Weil er nicht für Fast Food-Ketten oder Wettanbieter Werbung machen will, die zu den Sponsoren gehören. Spielen wird er am Donnerstag im Stade de France trotzdem.
Foto: UEFA.