Nichts wurde aus dem ersten Sieg in einem k.o.-Spiel seit der WM 1954, Österreichs größten Erfolg seit 70 Jahren: Am meisten schmerzt nach dem geplatzten Viertelfinaltraum bei der Europameisterschaft, dem 1:2 (0:1) gegen die Türkei in Leipzig, die Erkenntnis, am schwächsten der vier Gegner gescheitert zu sein. Frankreich, Polen und Holland waren sicher besser als die Türken, die eigentlich von einem österreichischen Selbstfaller profitierten, erstmals seit 16 Jahren wieder im Viertelfinale der Europameisterschaft stehen, im Finish stehend k.o. wirkten. Aber da bewahrte Besiktas-Trainer Mert Günök mit einer Superreaktion bei einem Kopfball von Christoph Baumgartner (Bild) in der 93. Minute die Türken vor dem Nachspiel, in dem sie höchstwahrscheinlich chancenlos gewesen wäre. Ein englischer Journalist fragte Ralf Rangnick auf der Pressekonferenz, ob er es auch so sehe, dass dies die beste Parade eines Tormanns seit dem legendären Engländer Gordon Banks 1970 bei der WM in Mexiko bei einem Kopfball von Pele gewesen war. Rangnicks knappe Antwort lautete: „Stimmt!“
Aber auf einen neuen Banks Österreichs Niederlage zu reduzieren, wäre falsch. Es war auch das Match mit den meisten Fehlern, die Österreich bei dieser Europameisterschaft unterliefen. Die Statistik sagt alles: 21:6-Torschüsse, 10:4-Eckbälle, 485 gespielte Passes, 178 mehr als die Sieger, mit 118 Kilometern 3,7 mehr gelaufen als die glücklichen Gewinner. Die Eckbälle waren ein eigenes Kapitel im letzten achten Finalspiel: Aus vier der Türken fielen zwei Tore, aus zehn Österreichs nur der Anschlusstreffer durch den zur zweien Hälfte eingewechselten Michael Gregoritsch, der nachher erzählte, dass in der Kabine viele Tränen flossen, es keine größere Tragik im Fußball geben könne als diese.
„Wir hatten mehr Torschüsse und Torchancen als beim 6:1 im März in Wien“, bemühte Rangnick nachher die Statistik, „wir müssen uns vorwerfen, die nicht genützt zu haben und zweimal schlecht verteidigt zu haben.“ Bei Eckbällen von Arda Güler von rechts, mit links zum kurzen Eck. Da fielen beide Treffer durch Merih Demirel. Der erste nach 56 Sekunden war der bisher schnellste in einem k.o.-Spiel der Europameisterschaft. Der Innenverteidiger, der bei Al Ahli in Saudiarabien unter Salzburgs Ex-Meistertrainer Matthias Jaissle spielt, wurde zum „man of the match“ gewählt, sorgte danach mit dem „Wolfsgruß“, der Symbolgeste einer rechtsradikalen Bewegung für einen Mißton. Der österreichische Schützling von Jaissles Vorgänger in Salzburg, Marco Rose, Leipzig-Legionär Christoph Baumgartner, war vor Roses Augen, der im Stadion war, hingegen der Pechvogel: Verunglückte Abwehr vor dem 0:1, vergebene Chance zum 1:1, die letzte Möglichkeit zum 2:2 nicht genützt. Was man ihm nicht ankreiden durfte. Trotzdem wusste e: „Das war nicht mein Tag, ich bin komplett leer“.
Der Dienstag war auch nicht der Tag des Marko Arnautovic. Lange ein Totalausall, kurz nach Beginn der zweien Hälfte die Topchance zum 1:1 ausgelassen. Rangnick verteidigte dennoch seine Aufstellung, die sich aufgrund der Trainingseindrücke ergeben habe. Zur Pause war Arnautovic reif für den Austausch, aber da wartete Rangnick offenbar auf den Genieblitz, der nicht kam. Arnautovic ließ durchblicken, dass sein 115. Länderspiel sein letztes gewesen sein könnte. Ein 35 jähriger kann nicht die Zukunft sein. Darum wird Arnautovic im September fehlen, wenn für Österreich die Nations League B in Slowenien und Norwegen beginnt. Die anderen Verlierer hingegen, sofern sie fit sind, sicher nicht
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