Fußball

Verwirrende Video-Grüsse aus Russland

In Russland sind Stadien Festungen. Schon jetzt beim Confed-Cup, egal ob in St. Petersburg, Kasan, Moskau oder Sotschi. In einem Jahr bei der Weltmeisterschaft wird das mindestens genau so streng, wenn nicht noch strenger. Staatschef Wladimir Putin und  FIFA-Boss Gianni Infantino sassen Samstag beim Eröffnungsspiel in St. Petersburg hinter einer Panzerglas-Scheibe. Die ganze Krestowski-Halbinsel an der Ostsee, auf der das an ein UFO erinnernde 680 Millionen Euro-Stadion, das eigentlich nur 110 kosten so und schon vier Jahre früher fertig sein sollte, daher fast an den Berliner Pannen-Nichtflughafen erinnert, abgesperrt. Um als Fan zu einem Spiel zu kommen, genügt ein Eintrittsticket nicht. Dazu benötigt auch eine Fan-Identitätskarte samt Passfoto, für die man sich schon im Vorfeld registrieren lassen muss. Ohne der läuft gar nichts. Wer es bis zum Stadion schafft, muss ähnlich wie auf einem Flughafen durch den Metalldetektor, alle Taschen scannen und durchsuchen lassen. Größere Mengen an Flüssigkeiten sind strikt verboten. Und wer die Idee hat, mit dem Auto zum Stadion zu fahren, wird an Österreichs Grenze zu Ungarn oder die Tschechoslowakei erinnert, als dort noch die Kommunisten an der Macht waren. In Schleusen wird jedes Fahrzeug genau untersucht. Auch hydraulische Sperren sind parat, um das Durchbrechen von möglichen Attentätern zu verhindern.

Darauf müssen die Fans, die 2018 zur WM nach Russland reisen wollen, eingestellt sein. Und bei den Spielen auf minutenlange Unterbrechungen, wenn der Schiedsrichter über Funk mit seinem Video-Assistenten, offiziell VSA, über wichtige Entscheidungen debattiert. Wie am Sonntag geschehen bei Portugals 2:2 gegen Mexiko und beim späten 2:0 von Chile gegen Kamerun, bei dem Altachs Stürmer Nicolas Ngmaleu  in den letzten acht Minuten bei den Verlierern zum Einsatz kam. Beim Unentschieden in Kasan annullierte der Videoschiri Portugals vermeintliches Führungstor wegen Abseits, was sich als richtig erwies, überprüfte auch das 2:1 des Europameisters, fand an dem nichts auszusetzen. Portugals Teamchef Fernando Santos meinte  ziemlich grantig, auch Mexikos zweiter Ausgleich hätte sich eine Überprüfung verdient.

Noch mehr Aufregung verursachten die Video-Grüsse in Moskau, als dort in der Otkrytije-Arena von Meister Spartak, wo Österreich vor zwei Jahren gegen Russland 1:0 gewonnen hatte, deshalb Chiles Führung durch Ex-Hoffenheim-Stürmer Eduardo Vargas aberkannt wurde.  Bei den TV-Bildern sah es nach gleicher Höhe und daher nach der ersten Video-Fehlentscheidung aus, die nach einer Wartezeit von einer Minute und acht Sekunden gefällt wurde. Die Diskussionen, die man mit der Video-Überprüfung verhindern wollte, entstanden dadurch erst recht. Wenn eine richtige Entscheidung des Referees am Rasen via Video in eine falsche verwandelt wird, wäre das geradezu grotesk.

Erst nach einigen Minuten der zweiten Hälfte lieferte die FIFA Bilder an die diversen TV-Stationen, an denen man mit Hilfe gezogener Linie erahnen konnte, dass ein Knie von Vargas einige Zentimeter abseits stand. Die bisherige Devise, im Zweifelsfall für den Angreifer zu entscheiden, galt für den Video-Assistenten offenbar nicht. Als Draufgabe zählte dafür dank ihm dann ein vom Referee aberkanntes Tor doch. Als wieder Vargas traf, hob der Assistent von Damir Skomina die Fahne. Er sah ein Abseits, das keines war. Der Slowene wandte sich an den Mann im Video-Raum, der erkannte, dass alles korrekt war.

Juan Pizzi, der chilenische Teamchef, meinte, das neue System rufe Atemnot hervor. Aber er glaube, am Ende könne die Technologie vielleicht doch für mehr Gerechtigkeit sorgen. Die Zweifler fühlen sich hingegen schon bestätigt. Der Videoreferee, mit dem nächste Saison auch die in der deutschen Bundesliga engagierten Österreicher leben werden müssen, ist viel problematischer als die Torkamera, nimmt dem Fussball viel von seinem Reiz. Montag befragte bei Deutschlands 3:2 gegen Australien der amerikanische Referee Mark Geiger nach dem zweiten Treffer Australiens den Videoassistenten aus Usbekistan, ob Torschütze Tomi Juric zuvor den Ball mit der Hand berührte. Die Antwort war nein.

Unter dem Aspekt stossen die zehn Reformvorschläge der FIFA-Regelhüter vom IFAB (International Football Association Board) unter seinem Direktor, dem ehemaligen englischen Schiedsrichter  David Elleray, auf viel Skepsis. Speziell der Punkt-oder Torabzug  bei zu deutlicher Kritik am Referee. Interessant könnte sein, die Spieldauer zu ändern. Statt der bisherigen 90 Minuten nur mehr 60, aber reine Nettospielzeit. Das heißt: Bei jeder Unterbrechung wird wie im Eishockey die Uhr angehalten. Der Unparteiische darf das Spiel erst beenden, wenn der Ball tatsächlich 60 Minuten lang gerollt ist. Derzeit sind es nach genauen Berechnungen im Schnitt 55 – heißt also, die Spiele würden künftig sogar etwas länger dauern als derzeit. Beim Deutschland-Sieg in Sotschi stoppte Montag „Bild“ die Netto-Spielzeit. Das Ergebnis: 63 Minuten!

Amüsant hingegen die Idee, dass der Ball bei Standardsituationen nicht mehr ruhen muss, künftig auch mehrere Ballberührungen möglich sein sollen. Bedeutet: Einen Freistoss könnte man ausser schiessen auch dribbeln. Soll laut Elleray alles dazu dienen, den Fußball fairer und attraktiver zu machen: „Ein radikales Dokument, das man auch Revolution nennen kann.“

 

 

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