Toni Kroos ist der deutsche Weltmeister mit dem höchsten Marktwert, nämlich 80 Millionen Euro. Er gilt auch als der deutsche Geldmeister. Keiner aus dem WM-Kader verdient mehr als er bei Champions League-Sieger Real Madrid, nämlich 20,7 Millionen brutto pro Saison. Weil er als dje beste Passmaschine der Welt gilt. Als die Samstag Abend in Sotschi einmal stotterte, drohte im 100.Länderspiel von Teamchef Jogi Löw die größte deutsche Pleite aller Zeiten, nämlich erstmalig das Scheitern in einer WM-Vorrunde. Aber am Ende, nach dem 2:1 (0:1) gegen Schweden stand Kroosartig für einen neuen deutschen Wertbegriff. Weil er alles selbst mit einer genialen Aktion wieder ins Lot brachte. Vor den ARD-Kameras beschrieb er dann eine Gefühlswelt: „Schwedens Tor geht auf meine Kappe. Aber wenn du gefühlte 400 Passes spielt, dann können schon zwei nicht ankommen. Aber dann musst du auch die Eier haben, so eine zweite Hälfte zu spielen. Das sehen aber die wenigsten.“ Und als Draufgabe: „Mitunter hatte man in den Tagen nach dem 0:1 gegen Mexiko schon das Gefühl, es hätten sich einige in Deutschland gefreut, wenn wir vorzeitig heim hätten müssen.“ Jetzt hat´s Deutschland wieder selbst in der Hand. Durch einen Sieg gegen Südkorea am Mittwoch in Kasan ins Achtelfinale.
Die kroosartige Aktion passierte in der fünften Minute der Nachspielzeit. Deutschland spielte nach Gelb-Rot für Jerome Boateng bereits 13 Minuten dezimiert, lief erfolglos an. Noch ein Foul an der Strafraumgrenze. Alles erwartete die letzte Flanke in den schwedischen Strafraum. Aber Kroos rollte den Ball kurz zu Marco Reus, der drei Minuten vor der Pause mit dem linken Knie für den Ausgleich gesorgt hatte. Der stoppte den Ball kurz, Kroos zirkelte ihn dann aus spitzem Winkel sensationell und unhaltbar ins lange Eck. „Bild“ jubelte über ein Freistoß-Kunstwerk. Die Wortschöpfung entsprach aber der Wahrheit. Unglaublich emotionelle Szenen folgten dem Last Minute-Tor. Bei dem sich Funktionäre aus der zweiten deutschen Reihe, ein Büroleiter und ein Mann der Presseabteilung, die schwedische Bank provozierten. Was Verlierer-Teamchef Janne Andersson ebenso erzürnte wie der französische Videoreferee Clement Turpin, der nach 16 Minuten bei einer Attacke von Boateng gegen Markus Berg, bei der man auch Elfmeter hätte pfeifen können, aus dem Moskauer Keller nicht eingegriffen hatte. Berg war einer der fünf Spieler jenes schwedischen Teams, das vor drei Jahren in Stockholm das entscheidende Qualifikationsspiel zur Euro 2016 gegen Österreich 1:4 verloren hatte, die auch Samstag zu den Enttäuschten zählten. Einer von ihnen, Toulouse-Legionär Johnny Durmaz, der durch ein Foul an Timo Werner den entscheidenden Freistoß verschuldete, sah sich nachher einem Shitstorm in Internet ausgesetzt. Einige Verrückte hielte sich sogar mit Morddrohungen nicht zurück.
Gelöste Stimmung hingegen beim nächtlichen Rückflug der Deutschen nach Moskau. Jetzt zwei Tage Erholung in der Waldeinöde von Watutinki, dann nach Kasan. Und im Hintergrund nimmt das Achtelfinale gegen Brasilien am 2 Juli in Samara Konturen an. Löw brachte sich mit dem 79. Sieg seiner Ära aus der Schusslinie, weil ihm das Ergebnis, das er als glücklich, aber verdient bezeichnete, recht gab. Die vier Umstellungen zu Beginn. Die Überraschung mit Bayern-Reservist Sebastian Rudy im zentralen Mittelfeld, der allerdings nach einer halben Stunde mit einem Nasenbeinbruch raus musste. Der erstmalige Verzicht in einem Endrundenspiel von Welt-und Europameisterschaften auf seinen Favorit Mesut Özil, von dem er nachher allerdings behauptete: „Wir werden seine Kreativität bei diesem Turnier noch brauchen.“ Die Umstellung zur zweiten Hälfte mit Mario Gomez als zweiter Spitze. Das Jogi-Fazit: „Wir machten nicht so viele Fehler wie gegen Mexiko.“ Der große deutsche Befreiungsschlag? Philipp Lahm, der deutsche Weltmeisterkapitän von 2014, fühlte sich in seinem ARD-Talk vom Tegernsee, an Brasilien erinnert: „Wie vor vier Jahren unser Zittersieg gegen Algerien. Das Happy End gegen Schweden kann diesmal ähnliche Auswirkungen haben.“