Fußball

Meine elf Weltmeisterschaften ab 1974: Als Rinus Michels nur für mich deutsch sprach

Von Deutschland 1974 bis zu Brasilien 2016! Das waren meine elf Weltmeisterschaften, bei denen ich vor Ort war, viele interessante Dinge persönlich erlebte. Leider nur viermal mit Österreichs Team: 1978 in Argentinien, vier Jahre später in Italien, 1990 in Italien und zuletzt schon vor 20 Jahren in Katar. Daher gewann man bei elf Endrunden auch schon etwas Routine beim Umgang mit internationalen Topstars, die oft viel „normaler“ sind, als viele .glauben. Wie gesagt es begann 1974 in Deutschland.

Als Jung-Redakteur bei der „Presse“, bei der Zeitung mit dem großen Horizont, empfand ich es mit meinem 23 Jahren als große Ehre, ein WM-Ticket zu ergattern. Das Österreich am 27. November 1973 im Entscheidungsspiel auf neutralem Boden im Gelsenkirchner Park-Stadion gegen die Schweden, mit denen Österreich nach Ende der Qualifikation die gleichen Punkte, die gleiche Tordifferenz hatte, verspielte. Schweden mit  Klassekeeper Ronnie Hellström, Regisseur Bo Larsson, den Stürmerstars Ove Kindvall,  Ralf Edström und Roland Sandberg führte nach 28 Minuten auf Schneeboden bereits 2:0. Österreich bot die beste Leistung seit langem, es reichte aber nur zum Anschlusstor durch Roland Hattenberger und einen Lattenschuss von Franz Hasil. So sehr sich das Offensivtrio mit Willi Kreuz, Hans Krankl und Kurt Jara ins Zug legte. In der Kabine, in die Journalisten damals nach dem Spiel noch problemlos hinein durften, gab´s Interviews mit tief deprimierten Verlieren, bei denen fast ausnahmslos die Tränen flossen. Fast hätte es auch Teamchef Leopold Stastny erwischt.

Der Befehl aus der Geschäftsführung, nicht zu hohe Spesen zu verursachen, tat der Begeisterung über die erste WM keinen Abbruch. Also nichts mit Flugzeug, hinein in den VW-Käfer, über die Autobahn hinauf nach Frankfurt. Zwischenstopp in Salzburg beim zweiten österreichischen Cupfinale zwischen den Austrias aus der Mozartstadt und Wien, bei dem Herbert Prohaska mit einem seiner seltenen Kopfballtore im Finish für den Ausgleich und den Cupsieg der Wiener Violetten sorgte. Danach weiter 550 Kilometer Nachtfahrt. Kein Kilometergeld verrechnen, nur die Benzinkosten. Machte mir auch nichts aus. Mein erstes WM-Spiel, das ich live sah, war eine Nullnummer zwischen Titelverteidiger Brasilien und Schottland am 18. Juni 1974 im Waldstadion, der künftigen sportlichen Heimat von Adi Hütter. Die schottischen Haudegen, allen voran Billy Bremner und Joe Jordan, kauften den Weltmeistern von 1970  wie Roberto Rivelino und Jairzinho den Schneid ab. Und Stastny lieferte mir danach gleich die Schlagzeile: „Die Brasilianer werden es sicher nicht schaffen, Weltmeister zu bleiben.“ Rechts sollte er behalten.

Von Favorit Deutschland sickerte damals aus dem Quartier im norddeutschen Malente durch, dass es bei den Prämienverhandlungen zwischen Paul Breitner und dem DFB-Präsidenten Hermann Neuberger fast zum großen Eklat, der Abreise der Startruppe gekommen war. Zum Entsetzen ihres Teamchefs Helmut Schön. Der auch eine unliebsame Üerraschung erlebte: Ein 0:1 im Prestigeduell der „feindlichen Brüder“ gegen die DDR im letzten Gruppenspiel. Das legendäre Tor von Jürgen Sparwasser im Hamburger Volkparkstadion sah ich in Düsseldorf vor dem TV-Schirm. Manche deutschen Medien forderten den Rücktritt von Schön, Kapitän Franz Beckenbauer übernahm nach dem Match laut „Bild“ in der folgenden Nacht der langen Messer in Malente das Kommando, traf Entscheidungen, die für ein Zurückschrauben von Eigeninteressen und das Zusammenwachsen des Teams sorgten. Inzwischen weiß man, dass es so stimmte, Schön so klug war, Beckenbauers Marschroute zu akzeptieren, um nicht unüberwindliche Gräben aufzureißen.

Am Tag danach war ich live in Düsseldorf dabei, als Österreich-Bezwinger  Schweden ein 3:0 gegen Uruguay bejubelte, Sandberg zweimal traf, Edström einmal. Die Schweden damit in der zweiten Finalrunde, in einer Gruppe gegen Jugoslawien, Deutschland und Polen. Also in den nächsten Tagen auf ins Schweden-Quartier. 1974 waren die Mannschaftshotels noch keine schwer bewachten Sperrzonen. Und beim Schweden-Trainings passierte es, dass ein Reporter Tormann Hellström mit dem Goalgetter verwechselte, ihn als Edström befragte. Hellström drehte sich in aller Ruhe um, schaute ob die „Giraffe“ vielleicht hinter ihm stand. War nicht der Fall. Also antwortete er ganz normal, ohne den Reporter über seinen Irrtum, aufzuklären.

Am 30. Juni gelang etwas, was bei meinen nächsten zehn Weltmeisterschaften nicht mehr zu schaffen war: Zwei WM-Spiele in dreieinhalb Stunden live zu sehen. Zunächst ab 16 Uhr Uhr in Gelsenkirchen das 2:0 der bisher beeindrucken Holländer mit ihren Stars Johan Cruyff, Johan Neeskens und Wim van Hanegem gegen die DDR. Danach rein in den VW-Käfer und ab die 40 Kilometer nach Düsseldorf. Trotz strömenden Regen und Staus schaffte ich es rechtzeitig bis zum Anpfiff von Deutschland – Schweden um 19.30 Uhr.  Zur Pause führten die Skandinavier 1:0, unvergesslich bis heute die Minuten 51,. 52 und 53: Ausgleich zum 1:1, deutsche Führung,  Schwedens 2:2 durch Sandberg. Endstand 4:2 für Deutschland . Ich nachher am Weg zum deutschen Bus, um dort vielleicht Interviews zu bekommen. Traf unterwegs Österreichs Teamchef, der mit mir ging. Als Schön, der bereits im Bus sass, Stastny erblickte, stieg er nochmals aus, ging auf ihn zu, legte ihm jovial die Hand um die Schulter: „Ach Leopold, heute hättet doch auch ihr gegen uns hier spielen können.“ Stastny kurze und prägnante Antwort: Ja, aber nicht so gut.“

Deutschland schaffte in der vom österreichischen Referee Erich Linemayr geleiteten Frankfurter Wasserschlacht mit 1:0 gegen Polen trotz vergebenen Elfers von Uli Hoeneß das Finale in München, Holland entthronte in Dortmund Brasilien mit einem 2:0 vor meinen Augen. Neeskens und Cruyff trafen. Es machte Spaß, bei den lockeren Holländern zu bleiben, bei ihnen zu arbeiten. In den Tagen bis zum Finale berichtete „Bild“ über Sexpartys der Holland-Stars mit dem weiblichen Hotelpersonal in Hiltrup bei Münster, wo ihr Quartier war. Die empörten holländischen  Spielerfrauen sollten angeblich bereits im Anmarsch sein. Der umsichtige Teamcehf Rinus Michels, bekannt geworden durch die große Ajax Amsterdam-Ära, reagierte mit einem deutschen Presseboykott. Weigerte sich wie bisher deutsch zu reden, antwortete wenn überhaupt auf deutsche Fragen spöttisch auf holländisch, das nur seine Landsleute verstanden. Als das Schauspiel beendet war, wagte ich noch einen kurzen Vorstoß zu Michels. Mein Glück, dass er mich aus den Presseterminen davor offenbar noch kannte. Ich zeigte ihm meine Akkreditierung, auf der Österreich stand, bat: „Könnten Sie für einen Wiener eine Ausnahme machen und deutsch reden?“ Er lachte und tat es. Zwei Minuten lang, ehe er ging. Seine Botschaft: „Deutschland wird vor eigenem Publikum immer Favorit sein.“

Und so war es auch. Holland führte nach 118 Sekunden ohne deutsche  Ballberührung 1:0, weil Berti Vogts, der „Manndecker“ von Cruyff, Hollands Kapitän nur durch ein Foul im Strafraum stoppen konnte. Neeskens traf den Elfer wuchtig an Sepp Maier vorbei mitten ins Tor. Aber nach Paul Breitners Elferausgleich, machte ein Tor des „Bombers“ der Nation, Gerd Müller, in seiner unnachahmlichen Art Deutschland nach 20 Jahren wieder zum Weltmeister: „Lasst´s meine österreichischen Freund´ zu mir kommen“, sagte Müller, als er nachher einige Journalisten aus der Alpenrepublik erblickte. Am WM-Bankett  erklärte er dann seinen Rücktritt, weil gestrenge DFB-Funktionäre seine Frau Uschi nicht in den Saal ließen. Als ich am Montag morgen im „Penta“-Hotel den Aufzug holte, um zur Rezeption runterzufahren und auszuchecken, sassen drei bekannte deutsche TV-Journalisten drinnen. Und schliefen ihren Weltmeister-Rausch aus. Die Holländer um Michels (Bild) wurden trotz Finalniederlage in Amsterdam wie Weltmeister empfangen.

 

Foto: © FIFA (Getty Images).

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