Damit hatte keiner gerechnet. Wie gewonnen, so zerronnen. Mitten in den Jubel um den Traumstart für Adi Hütters Young Boys Bern mit drei Siegen in den ersten drei Runden, dem Aufstieg in das Play-off zur Champions League gegen Dynamo Kiew, folgte der schlimme Tiefschlag. Völlig unerwartet im „Bern-Derby“, dem Kunstrasenduell gegen Thun. Nur 26 Kilometer liegen zwischen Bern und Thun, beide Mannschaften bestreiten ihre Heimspiele auf Kunstrasen, Thun gewann das Derby zuletzt am 14. Juli 2013. Seit damals gab es in 14 Partien nur drei Punkte durch drei Unentschieden zu holen. Die Ausgangsposition vor dem gestrigen Duell: Young Boys Bern mit neun Punkten und 9:0-Toren Erster, Thun mit keinem Punkt und 1:6-Toren Letzter.
Was dann 16.836 Zuschauer im Stade de Suisse von Bern sahen, hätte keiner erwartet: Tabellenführer Young Bys machte das Spiel, das Schlusslicht Thun, das Rapid in der Gruppenphase der Europa League 2013 daheim 1:0 bezwungen, im Happel-Stadion 1:2 verloren hatte, aber die Tore. Drei Schüsse auf das Tor von Young Boys-Keeper David van Ballmoos bedeuteten in der ersten Hölfte drei Tore. Was Hütter unangenehm auffiel: Young Boys fehlten merkbar in der ersten Hälfte die Leidenschaft und die Zweikampfstärke, der Siegeswille vom 2:0-Startsieg gegen Meister FC Basel und vom 2:0 beim Aufstieg gegen Dynamo Kiew. Ob´s daran lag, dass Hütter mit Blickpunkt auf das Play-off-Spiel gegen ZSKA Moskau am nächsten Dienstag kräftig rotierte, Torjäger Guillaume Hoarau oder Leonardo Bertone, letzten Sonntag zweifacher Torschütze beim 3:0 gegen Lausanne, bis zur Pause auf der Bank ließ? Die versuchte Aufholjagd mit ihnen gelang nach der Pause trotz mehr Aufwand nicht. Endstand 0:4, willkommen in der Wirklichkeit: „Ein Abend zum Vergessen, wir hätten noch zwei Stunden spielen können und kein Tor geschossen“, gestand Hütter, sprach von einer Ohrfeige, die sehr weh tut, „aber uns nicht umhauen wird“.
Überhaupt fehlte de 27jährige Franzose Yoric Ravet, der zuletzt auffällig am Flügel wirbelte. Er fühlte sich phsyisch und mental nicht in der Lage, gegen Thun zu spielen. Das, was der Austria mit Larry Kayode bereits seit Wochen passierte, geschah nun auch bei Young Boys Bern. Ausgelöst durch ein Angebot des SC Freiburg, der dringend nach Verstärkungen für die Offensive sucht, da er seine Trümpfe aus der letzten Saison, Max Philipp und Vincenzo Grifo für insgesamt 26 Millionen Euro an Borussia Dortmund und Mönchengladbach verlor, bisher nur zwei Neue einkaufte: Österreichs U 21-Kapitän Philipp Lienhart, der bereits als Glücksgriff bejubelt wird (siehe oben) für das Abwehrzentrum, den Polen Bartosz Kapusta, der bei Leicester keine Rolle spielte, für das Mittelfeld. Jetzt muss noch nachgerüstet werden, sonst droht in der Bundesliga dem Sensations-Siebenten der letzten Saison von d er ersten Runde an der Abstiegskampf. Nachrüsten unter anderem mit Ravet. Young Boys-Sportchef Christoph Spycher: „Wenn unsere Schmerzgrenze erreicht wird, darf Ravet gehen.“ Die liegt bei zehn Millionen Euro. Ein Drittel des Etats der Bundsligamannschaft mit dem geringsten Budget. Bisher kaufte Freiburg noch nie so teuer ein. Hütter verlor mit Torhüter Yyon Mvongo und Mittelfeldspieler Denis Zakaria schon zuvor seine besten Spieler für 15 Millionen an RB Leipzig und Mönchengladbach. Darum verblüffte der Traumstart um so mehr. Bis Mittwoch Abend, bis zur unerwarteten schlimmen Pleite. Der sarkastische Kommentar des Schweizer „Blick“ zum Theater um Ravet: „Eine Wanderhure zieht weiter und alles stürzt ein.“