Italien erlebte Donnerstag Abend, 256 Tage nach dem Triumph bei der Europameisterschaft in Wembley, ein schlimmes Desaster, Österreich 271 Tage nach dem ehrenwerten Ausscheiden im Achtelfinale der EM gegen die Squadra Azzura ein „normales“, das man seit Jahrzehnten gewohnt ist. Nämlich bei der Weltmeisterschaft nur Zuschauer zu sein. Italien muss damit zum zweiten Mal hintereinander fertig werden, Österreich bereits zum sechsten Mal. Italien hatte beim 0:1 gegen Nordmazedonien in Palermo 32:4-Schüsse und 16:0-Eckbälle, Österreich beim 0:1 in Cardiff 16:14-Schüsse (nur vier gingen auf das Tor, bei Wales drei mehr), 66 Prozent Ballbesitz, 6:3-Eckbälle, spielte 532 Passes, die Sieger nur 234. Österreich beging 15 Fouls, Wales nur sieben. Aber in beiden Ländern gilt das, was Italiens Europameister-Teamchef Roberto Mancini sagte: „Nach solchen bitteren Erlebnissen musst Du leiden und schweigen“. Mancini, trotz Vertrag bis 2026 durch die Blamage umstritten, meinte damit: Als Verlierer hast Du wenig oder gar keine Argumente. Ähnliches gilt für Franco Foda, der nur noch bis kommenden Donnerstag einen Vertrag hat.
Realismus gibt es in solchen Situationen kaum. Da werden lieber Schuldige und Südndenböcke gesucht, meistens nichts stichhaltige Argumente gefunden. Sicher hat die schlechte WM-Qualifikation und die verpasste Chance im Semifinale der Play offs wenig mit den Personalentscheidungen von 2017 zu tun. Denn auch mit Fodas Vorgänger Marcel Koller und dem von Sportchef Peter Schöttel, Willi Ruttensteiner, schaffte Österreich nicht bei der WM-Endrunde dabei zu sein. Koller verpasste es in zwei Anläufen, Ruttensteiner, wenn man so will, sogar in vier. Was nicht an ihm, seinen fehlenden Visionen und fehlenden Konzepten lang. Es tut zwar, aber man sollte sich eingestehen: Die derzeitige Generation ist zwar sehr gut, aber auch etwas überschätzt. Daher sind Spiele wie in Wales gegen Teams, die in der Weltranglste um zehn Ränge besser platziert sind, kein Selbstläufer.
Österreich hat zwar Legionäre, die in den fünf besten Ligen Europas unter Vertrag stehen. David Akaba war eine Zentralfigur bei Bayern München, ist eine bei Real Madrid. Zwar hat Schöttel nicht recht, wenn er meint, diesen Status habe außer Alaba kein Legionär. Den hat auch Martin Hinteregger, wenn er in Form ist, bei Eintracht Frankfurt, der erkrankt ausgefallene Philipp Lienhart bei Freiburg und Sasa Kalajdzic bei VfB Stuttgart, wenn er voll im Saft ist, mit Abstrichen Christoph Baumgartner bei Hoffenheim. Marcel Sabiter war bei RB Leipzig der Leitwolf, ist jetzt bei Bayern München nur Reservist. Dennoch in Cardiff Österreichs bester Mittelfeldspieler. Alaba, Hinteregger und Lienhart sind vor allem für die Defensive zuständig. Einen Teamspieler, der bei seinem Klub in zentraler Rolle als Kreativspieler den Ton angibt, gibt es nicht. Konrad Laimer und Xaver Schlager sind in Leipzig und Wolfsburg wichtige Antreiber, aber nicht „Spielmacher“, die Chancen kreieren. Marko Arnautovic fehlt seit seinem Wechsel aus finanziellen Gründen von West Ham nach China die nötige Fitness dazu. Bei Bologna blieb er bisher daher meist nur ein diskreter Mitläufer. Wenn seine Worte „ich muss mir überlegen, ob das noch alles passt“ bedeuten, dass er nach Länderspielen an das Ende seiner Teamkarriere denkt, ist das seine Entscheidung, die zu respektieren ist. Der Arnautovic in der Form der WM-Qualifikation wäre kein Verlust, der wirklich weh tut.
Von noch einem Irrglauben sollte man sich verabschieden: Nach vorne verteidigen oder die gegnerischen Abwehrspieler entschlossen anzulaufen, bedeutet noch lange nicht, zu klaren Torchancen zu kommen. Die Österreich mit zwei Ausnahmen beim 0:1 nicht hatte. Einmal traf Baumgartner nur die Latte, einmal legte sich Arnautovic den Ball zu weit vor.
Foto: UEFA.