Fußball

Bissig wie der russische Bär? „Stani braucht Hilfe!“

Seit 20.Mai bereitet sich Russlands Fussballteam im Tiroler Stubaital, im Jägerhof in Neustift, auf die Weltmeisterschaft im eigenen Land vor. Für den Teamchef ist es ein Trainingslager daheim. Denn in Tirol ist er nicht  Stanislaw Salamowitsch Tschertschessow, sondern schlicht und einfach der beliebte „Stani“. Der ehemalige Kultgoalie vom FC Tirol Innsbruck zwischen 1996 und 2002 in langen schwarzen Hosen und weißen Stutzen drüber, als er dreimal zur Meistermannschaft gehörte. Von 1999 bis 2002. Unter Kurt Jara und Jogi Löw, jetzt Deutschlands Weltmeisterteamchef. Und später als Trainer von Wacker Innsbruck zwischen 2004 und 2006 die Hoffnung auf eine Wiederholung ehemaliger Erfolgszeiten vermittelte, ehe er den Ruf aus der russischen Heimat, für die er 50mal im Tor stand, folgte. Zunächst zu Spartak Moskau, wo er mit einem Österreicher, sprich Martin Stranzl, als Abwehrchef Vizemeister wurde, dann in Sotschi, bei Terek Grozny, Amkar Perm, Dynamo Moskau und danach in Polen, wo er mit Legia Warschau das Double gewann. Die Empfehlung, um in Russland nach dem schlimmen Vorunden-Debakel bei der EURO 2016 Teamchef zu werden.

Tirol ist sozusagen nicht nur zweite Heimat, sondern auch Wohlfühloase für „Stani“. Oberhalb von Innsbruck hat er ein Haus, in dem Frau und Kinder wohnen, er spricht fließend deutsch. Da ist er weit weg von der Sorge um die hohen Erwartungen im eigenen Land, weit wenig von den russischen Medien. So bissig wie ein russischer Bär soll er im Umgang mit ihnen sein, außerdem Spieler mit starker Persönlichkeit und eigener Meinung gar nicht schätzen. Wer den „Stani“ aus persönlichen Gesprächen kennt, der kann das eigentlich nicht glauben. Ausser er hat sich als Teamchef mit der gewaltigen Aufgabe Heim-WM vor der Brust total verändert. Eigentlich nicht zu glauben, wenn man weiß, wie menschlich der 54jährige in vielen Belangen ist. Seine Freunde wissen das zu schätzen. Wie der Platzsprecher am Tivoli zu „Stanis“ Zeiten, Ralph „The Voice“ Schader (Bild oben). Der angeblich so bissige Tschertschesssow lud Schader und seine Partnerin als Dank für Hilfe rund um die russischen Trainingscamps in Tirol zur WM nach Moskau ein. Muss er ja nicht tun.

Im Stubaital schätzt „Stani“ Höhenlage, Infrastruktur, Hotel, Regeneration, Fußballfelder, gutes Essen. Also alles. Bereits vor einem Jahr vor dem Confed-Cup war er mit seinen Spielern dort. Allerdings überstand Russland nicht die Vorrunde. Das darf sich im Juni nicht wiederholen. Trotz aller Probleme, die er zu bewältigen hat: Kein einziges Mal konnte er mit der Wunschelf üben. Auch nicht Mittwoch am Tivoli gegen Österreich. Weil sein Kader seit Monaten von Verletzunsgpech gebeutelt wird: In der Abwehr Ausfälle, die nicht zu kompensieren sind. Für die Offensive fehlt die Geschwindigkeit des am Kreuzband verletzten Torjägers Aleksandr Kokorin. Also muss „Stani“ flexibel sein, um bei der Heim-WM Geschichte zu schreiben. Bei der ersten vierten WM-Teilnahme nach dem Zerfall der Sowjetunion. Weder 1994 noch 2002 noch 2014 schaffte Russland das Achtelfinale. 2016 muss es daheim gelingen.

Die Hoffnungsträger darauf sind Mittwoch in Innsbruck zu sehen. Das ist Kapitän Igor Akinfeev, seit 14 Jahren im Tor die Nummer eins. An der Erfahrung des 32jährigen, der mitunter zwischen Genie und Wahnsinn schwebt, sollen sich die jüngeren Spieler aufrichten, Wie der 21jährige Alexander Golovin, im zentralen Mittelfeld für Ideen zuständig. Impulse müssten auch von Alan Dzagoev kommen. Alle drei sind von ZSKA Moskau. Für Tore soll Fyodor Smolov von Krasnodar sorgen. Russlands Hoffnungen haben in der Bevölkerung nicht den besten Ruf, sondern den schlechten von geldgierigen Söldnern. Starke Legionäre hat Tschertschessow nicht zur Verfügung. Daher beneidet er  Franco Foda um einen David Alaba, Marko Arnautovic und andere, ohne dies je offiziell einmal zugeben zu dürfen. Russland bürgerte mangels Alternativen mittelmäßige Spieler aus der deutschen Bundesliga mit russischen Wurzeln ein, Wie den Defensivspezialisten Roman Neustädter (früher Schalke, jetzt bei Fenerbahce Istanbul)  oder Linksverteidiger Konstantin Rausch, der zu Peter Stögers Schützlingen beim 1.FC Köln gehörte.

„Mehr arbeiten, weniger reden“, ist das Credo von „Stani“, das er konsequent verfolgt. Man kann ihm voll glauben, dass er stolz ist, sein Land bei der Heim-WM vertreten zu dürfen. Trotzdem hat er  im eigenen Land auch Gegner. Das erzählt ein ehemaliger russischer Legionär bei der Wiener Austria, Rashid Rachimow. Von 1995 bis 2000 waren „Stani“ und er Gegner. Rachimow war wie der nunmehrige Teamchef auch Trainer in Perm und bei Tarek Grozny. Auch er hat noch eine Wohlfühloase in Österreich. Nicht in Tirol, sondern in Wien, genau gesagt in Gersthof, wo auch seine Familie wohnt. Rachimow  kommentiert und analysiert  beim russischen TV-Sender „Match-TV“, bei dem er seit Wochen predigt: „Stani braucht Hilfe, alle müssen ihn unterstützen“. Um gegen Saudi Arabien, Ägypten und Uruguay den Aufsieg zu schaffen. Da denkt Rachimow auch an die russische Liebe zum Vaterland, die sich auf den Tribünen zeigen müsste. In Zeiten, die für Russland nicht leicht sind: Politisch am Pranger, dazu ständig Doping-Anschuldigungen, die auch vor den Fussballern nicht Halt machen. Auch in Neustift gab es Besuch von den Dopingjägern. Rachimows Rechnung zu Aufstieg: „Saudiarabien wird von der Kulisse im Eröfnungsspiel, mit den 80.000 Zuschauern im Luschniki-Stadion, nicht fertig werden. Und dann kommt Ägypten. Aber Mohammed Salah kann bei allem Respekt nicht allein spielen, ihm fehlen die Mitspieler wie bei Liverpool.“ Mit einem Ausfall von Salah nach der im Champions League-Finale erlittenen Bänderverletzung in der Schulter rechnen die Russen nicht. Also heißt die Rechnung: Sechs Punkte aus den ersten zwei Spielen, Und dann könne man taktieren, wen man im Achtelfinale als Gegner ausweichen will. Spanien oder Europameister Portugal. Wäre eigentlich überraschend, sollten nicht beide eine Nummer zu groß sein. Rachimow wird in Moskau oft gefragt, warum im Fussball für Russland nicht Erfolge wie im Eishockey möglich sind: „Da sag´ich immer drauf, weil Fußball auf der ganzen Welt gespielt wird, Eishockey nur in einigen Ländern.“

Vorerst zählt für „Stani“ nur das Match in seiner zweite Heimat gegen Österreich am Mittwoch. Er braucht ein positives Resultat für die Stimmung in der Heimat vor der WM. Selbst bei einem Sieg am Mittwoch ist es mit dem Rückflug nach Moskau einen Tag danach es mit der Wohlfühloase vorbei. Darauf ist „Stani“ eingestellt. Nach Tirol wird er erst im Juli zurückkehren. Möglicht spät, wie er hofft. Weil dann Russland lange dabei ist.

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