Fußball

Trotz Weltrekord und Supertor: Das wird bei der EM nicht zum Aufstieg reichen

Besser hätte das Europameisterschaftsjahr für Österreichs Team am Samstagabend im Narodny Stadion von Bratislava nicht beginnen können als mit der Führungstor beim 2:0 (1:0) gegen die Slowakei vom Anpfiff weg. Michael Gregoritsch spielte zu Christoph Baumgartner, der ließ drei Slowaken aussteigen, traf aus 18 Metern genau ins Eck. Der schnellste Treffer der Geschichte bedeutete Weltekord. Das allein war für Teamchef Ralf Rangnick den Besuch einer sonst bestenfalls durchschnittlichen Partie auf glitschigem Rasen wert. Das hat etwas für sich: „Ich bekam eine gute Schrittfolge, wollte nicht mehr zurückziehen, dachte mir, ein Abschluss nach wenigen Sekunden wäre nicht schlecht. Dass ich den Ball so perfekt treffen, ist eine andere Sache“ erzählte Baumgartner die historische Szene, zu der Kapitän Marcel Sabitzer bemerkte: „Das ist Instinkt, das kann man nicht trainieren!“  Als das Team nachher im Bus nach Wien fuhr, wäre Baumgartner als Weltrekordler fast wieder entthront worden: Florian Wirtz erzielte in Lyon das 1:0 für Deutschland beim 2:0 (1:0) gegen Frankreich ebenfalls vom Anpfiff weg. Nach Pass von Rückkehrer Toni Kroos. Allerdings „erst“ nach acht Sekunden. Baumgartner traf flach ins Eck, Wirtz ins Kreuzeck.

Zurück nach Bratislava: Auf den von den rund 3000 österreichischen Fans unter nur 9912 Zuschauern stürmisch bejubelten Traumstart folgte allerdings viel Leerlauf. Weil entgegen Rangnicks Ankündigung die Zeit des Experimentierens doch nicht vorbei war. Mit Tormann Alexander Schlager, Stefan Posch, Max Wöber und Xaver Schlager begannen feste Größen, aus welchen Gründen auch immer, nur auf der Bank.  Da fehlte doch einiges. Klappte das Spiel aus der Abwehr heraus nicht, passierten auch im Mittelfeld schlimme Fehlpasses, fehlte dazu das aggressive Pressing. Sicher keine gute Idee, in der Viererabwehr auf einen Linksfuß zu verzichten. Darunter litt der Aufbau. Dafür vor allem Neuling Leopold Querfeld verantwortlich zu machen, wäre falsch. Er musste nach einem Fehler von Florian Grillitsch, der statt Xaver Schlager zum Einsatz kam, durch ein Foul  eine slowakische Chance verhindern, für das er die gelbe Karte bekam. Dann unterliefen ihm wie anderen auch zwei Fehlpasses, ehe er wichtige Zweikämpfe gewann. Der Austausch zur Pause erfolgte sicher auch, weil die Gefahr bestand, dass er beim nächsten Foul wieder gelb bekam und Österreich danach nur zu zehnt gespielt hätte.

Nicht nur ein Linksfuß fehlte in Abwehr und Mittelfeld (der einzige war Stürmer Gregoritsch), auch ein Außenbahnspieler hätte der Mannschaft gutgetan. Rangnick, den es schon nach zehn Minuten nicht mehr auf der Bank hielt, reagierte zur Pause mit drei Wechseln. Mit Wöber kam ein Linksfuß ins Abwehrzentrum, der für Ruhe und Stabilität sorgte, auch für einen besseren Spielaufbau. Den farblosen Grillitsch ersetzte Xaver Schlager. Auch er tat dem Spiel gut. Wie Patrick Wimmer, der Konrad Laimer, der einen schwachen Tag hatte, ersetzte. Die zweite Hälfte war zwar sicher die bessere.  Patrick Pentz im Tor bekam zwar keinen schweren Ball zu halten, bewies jedoch bei Flanken und beim Mitspielen, dass auf ihn Verlass ist, wenn er gebraucht wird. Aber wirklich EM-reif war erst das zweite Tor im Finish, an dem der Kapitän und zwei weitere Joker beteiligt waren. Sabitzers Wechselpass leitete Romano Schmid, der „Nachfolger“ des  starken Weltrekordlers Baumgartner, direkt weiter zu Andreas Weimann, der dies zu seinem zweiten Tor für Österreich in seinem 22. Länderspiel nützte. Der 32 jährige traf mit links und erstmals seit dem 1:1 gegen Frankreich in der Nations League im Frühjahr 2022. Rangnick meinte, ein paar hätten sich mehr als bisher für die Europameisterschaft empfohlen. Damit kann er nur Schmid und Weimann wegen dieser Aktion zum Traumtor gemeint haben. Schmid lobte er besonders, stellte dem Grazer im Dienste von Werder Bremen sogar einen Einsatz in der Startelf gegen die Türkei am Dienstag in Aussicht,

Die rot-weiß-roten Fans sangen in ihrer EM-Vorfreude „Berlin, Berlin wir fahren nach Berlin“ und „Frankreich, wir kommen!“ Die Leistung von Bratislava kann man aber wirklich nicht als Kampfansage an den Vize-Europameister für das erste Gruppenspiel am 17, Juni in Düsseldorf werten. Auch die Prognose des slowakischen Teamchefs Francesco Calzona, dass Österreich die Überraschung der Europameisterschaft werden kann, wirkte übertrieben. Die Wahrheit:  Eine Leistung wie beim Sieg über die Slowaken wird im Juni nicht reichen, um zum zweiten Mal hintereinander die Gruppe zu überstehen und erneut ins Achtelfinale zu kommen. N erur gut, dass dies auch die Spieler so sahen. Sowohl Sabitzer als auch Baumgartner und Wimmer sprachen von Luft nach oben. Gut so. Vielleicht gelingt ohne Experimente schon Dienstag gegen die Türkei ohne Experimente eine Steigerung.

Zur ersten Heimniederlage von Österreichs erstem EM-Gegner Frankreich gegen Deutschland seit 2013 gehörte außer dem Blitz-Rückstand auch, dass Teamchef Didier Deschamps so wie Rangnick „experimentierte“. So spielte im Abwehrzentrum nicht wie zuletzt William Saliba von Englands Tabellenführer Arsenal, sondern der Ex-Salzburger Dayot Upamecano, zuletzt bei Bayer München nur zweite Wahl. Kapitän Kylian Mbappe vergab drei Chancen. Das passiert bei ihm nicht oft. Jetzt muss EM-Favorit Frankreich mit einem Denkzettel leben.

 

Foto: ÖFB/Christopher Kelemen.

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